: Luxus frißt Umweltmaßnahmen auf
Umweltbundesamt moniert in seinem neuen Jahresbericht den allzu sorglosen Umgang mit natürlichen Ressourcen und Antibiotika. Viele Gefahrenquellen seien auf den ersten Blick gar nicht zu erkennen ■ Von Matthias Urbach
Wußten Sie, daß das mittlere Autogewicht in fünf Jahren um 110 bis 160 Kilo zugenommen und damit den größten Teil der Spritersparnis durch bessere Motoren geschluckt hat? Daß sich mittlerweile im Abwasser von deutschen Klärwerken haufenweise Bakterien tummeln, die bereits gegen sechs verschiedene Antibiotika-Pillen resistent sind? Und daß der Stromverbrauch stärker wächst als die Stromproduktion aus Windrädern und Solarzellen?
Nachzulesen ist das alles im Jahresbericht 1997 des Umweltbundesamtes (UBA) in Berlin, den Amtschef Andreas Troge gestern zusammen mit seiner Aufseherin, Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU), in Bonn vorstellte. Leider sind die vielen spannenden Ergebnisse der wissenschaftlichen Bundesbehörde zum Umweltschutz gut versteckt in 338 Seiten engbedruckten DIN-A4-Seiten. Doch der Text zwischen den freundlichen grünen Deckeln hat bereits deutlich abgenommen – es gab ihn in den Vorjahren auch schon 500 Seiten stark. Leider fehlen immer noch kernige Zusammenfassungen dieser Fakten. Auch wenn den 1.212 Mitarbeitern im UBA in ihren 130 Fachgebieten der Jahresbericht wie eine einzige Zusammenfassung vorkommen mag, könnte er durchaus noch lesefreundlicher werden.
Beunruhigend etwa die neuen Messungen des UBA zu Bakterien in Kläranlagen: Sie fanden im Ausgang von Kläranlagen noch eine Million Kolibakterien pro Liter Wasser, davon ein Fünftel mit Resistenz gegen sechs und mehr Antibiotika. Einiges weise darauf hin, daß Kläranlagen ideale Verbreitungsorte für Resistenzen von Bakterien seien. So steht das UBA der vom Bundesagrarministerium gedeckten Verfütterung von Antibiotika in der Tiermast kritisch gegenüber, denn diese bringt unnötig Antibiotika in die Umwelt (und in die Kläranlagen), was dann die Resistenzen nach sich zieht. Mit der Folge, daß die Medikamente auch nicht gegen Keime helfen, die den Menschen befallen können.
Interessant auch der Hinweis auf die Stromkosten eines „Haushalts mit gehobener Ausstattung“, also PC, Fernseher und Anrufbeantworter: Allein der ständige Leerlauf dieser Geräte in Bereitschaft schlägt auf der Stromrechnung dieser Familien jährlich mit 250 Mark zu Buche. Rund elf Prozent des privaten Stromverbrauchs gehen darauf zurück. Immer mehr Elektrogeräte lassen den Stromverbrauch bis 2020 um 30 Prozent ansteigen, sagte Prognos 1995 voraus. Absolut wird er stärker wachsen, schreibt das UBA, „als die Zunahme des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen“. „Es wird immer noch zu sorglos mit Strom umgegangen“, klagt Troge.
Ähnlich werden im Autoverkehr Umweltmaßnahmen durch mehr Luxus aufgefressen. Weil die neuen Autos immer auch neue Extras brauchen, wie elektrische Fensterheber, Schiebedach, Klimaanlage und Seitenaufprallschutz, nahm das Autogewicht seit 1992 um ein Achtel zu und erhöhte damit den Spritverbrauch. Klimaanlagen in Betrieb fressen gleich noch einmal einen bis 1,5 Liter auf 100 Kilometer – und tauchen im offiziellen Spritverbrauch nicht auf.
Auch eine beliebte Erfolgsmeldung der Bundesregierung über den Rückgang der Staubbelastung relativiert der UBA-Bericht. Zwar nimmt die Gesamtmenge an Feinstäuben in der Luft ab, die besonders feinen – und damit besonders gesundheitsgefährdenden – Staubteilchen aber nehmen zu. „Eine der wichtigsten Feinstaubquellen im Nahbereich des Menschen ist der städtische Kfz-Verkehr.“ Und der droht weiter zu wachsen.
Auch praktische Tips finden sich in dem Bericht. Wer unter dem Stichwort „Dispersionsfarben“ nachschlägt, findet einen Hinweis darauf, daß auch lösemittelfreie Wandfarben noch lange nicht unschädlich sind: Sie enthalten oft Weichmacher und Konservierungsstoffe, die mitunter ebenfalls ungesund sind. Die eigentliche Zielgruppe des Jahresberichts sind aber wohl Expertenkreise.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen