: In Fishtown lebt nicht nur Elvis – wieder auf
■ Die Vorschau: Der Musiker Jörg Seidel lädt am Sonntag zum Jazz-Memorial-Konzert
Hat der Jazz in Bremerhaven noch eine Chance? Der Musiker Jörg Seidel glaubt „ja“. Der 32jährige Gitarrist und Sänger ist in seiner Heimatstadt seit Jahren der lokalen Jazzgeschichte auf der Spur. Mit einem großen Jubiläumskonzert im Stadttheater will er jetzt Brücken schlagen: Zwischen alter und junger Generation, Fans und Musikern, zwischen Tradition und Moderne. „Eine Reise durch Swing und Bop – 40 Jahre Jazz in Bremerhaven“ soll am ersten Sonntag im September beweisen, daß in Fishtown nicht nur Elvis wiederauflebt.
Vor der Rock'n'Roll-Revolution war der Jazz. Auch und gerade in Bremerhaven. Die amerikanischen Truppentransporter und Passagierschiffe mit ihren Bordkapellen spülten Musiker in die Clubs und Tanzsäle der Stadt, die später Furore machten. Der Bassist Gary Peacock war einer von ihnen. Er trat zum letzten Mal 1984 – ebenfalls in einem Jubiläumskonzert – im Stadttheater auf. Der seinerzeit 17jährige Seidel hörte ihn. Damals ging es für ihn los. Er griff zur Gitarre. Aber statt auf Folk oder Rock zu setzen, setzte er sich mit Bremerhavens Sinti-Musikern zusammen, um von ihnen den Swing zu lernen. Seine Recherchen führten ihn irgendwann zu „Chicos Place“, Anfang der 50er Jahre Bremerhavens schwärzeste Kneipe, in der alle einheimischen Jungen zum ersten Mal – und häufig heimlich – schwarze Musik hörten.
In den legendären Club pilgerten damals Ed Kröger, der in den 70ern einer der bundesweit bekanntesten Posaunisten wurde, oder Siggi Busch, heute Professor für Kontrabaß und und Jazzpädagogik an der Berliner Musikhochschule. Sie hörten in „Chicos Place“ oder in der „Insel-Bar“ den Swing-Pianisten Harry Habla, der später nach New York gegangen ist und mit Duke Ellington zusammengespielt hat.
Wenn die Jazz-Veteranen sich im September in Bremerhavens Stadttheater wiedersehen, begrüßen sie als ihren Alterspräsidenten den Gitarristen Arno Gräger. Der Autodidakt, der nie in seinem Leben Noten lesen konnte, war in Bremerhaven mehrere Jahre lang zum Magneten für amerikanische Musiker geworden. Mit Beginn der Rock'n'Roll-Ära 1956 war die Jazz-Welle in Bremerhaven zunächst schlagartig vorbei. Gräger verließ die Stadt, um sich als Unterhaltungsmusiker durchzuschlagen. Er tritt nach 40 Jahren zum ersten Mal wieder in Bremerhaven auf.
Dem Veranstalter Jörg Seidel geht es aber nicht um pure Nostalgie. In verschiedenen Kombinationen bringt er die Alten mit den Jungen zusammen. Neben Günter Delle (Piano) steht Sohn Frank Delle (Saxophon) auf der Bühne, der mit seinem Vater vor 15 Jahren in „Real Jazz Unit“ zusammenspielte. Heute gehört er zu den Musikern um Jörg Seidel und ist Mitglied in der Band des Vibraphonisten Florian Poser, der ebenfalls zu den Gästen des Jazz-Memorials zählt.
14 Musiker – 13 Männer und die Sängerin Anja Burkhardt – wollenam 6. September zeigen, daß der Jazz in Bremerhaven nach der frühen kurzen Blüte niemals ganz verloren war: Er hat Kinder und Enkel gezeugt, die ihre Väter und Großväter nicht vergessen haben.
Hans Happel
„Eine Reise durch Swing und Bop – 40 Jahre Jazz in Bremerhaven“ am Sonntag, 6. September, um 19.30 Uhr im Stadttheater Bremerhaven. Karten (zwischen 17,50 und 40,50 Mark) unter Tel.: 0471/490 01
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