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„Eigentum verpflichtet“

■ PDS-Vorsitzender Gregor Gysi tingelt für „eine gerechtere Republik“ durch Deutschland. Samstag war er in Bremen und wetterte gegen Einkommensmillionäre und anderes Unrecht

Es regnet. Der Himmel, eine grau-weiße Brühe, in dem der Tag das Licht ertränkt. „Wir können über alles reden – nur nicht übers Wetter. Am Samstag ist Sommer.“ Die Einladung zur PDS-Wahlfete mit Gregor Gysi duldet keinen Widerspruch. Doch auf den Holztischen vor dem Goethe-Theater steht das Wasser. Dicht gedrängt, Schirm an Schirm, warten etwa 300 Menschen auf den PDS-Vorsitzenden Gregor Gysi. „Wir lassen Sie nicht im Regen stehen – PDS“, ist auf einem rotem Schirm zu lesen. „Scheiß Wetter“, zischt ein älterer Herr am Kuchenstand. „Das ist immer noch unser Land. Hier hält keiner die Fresse“, steht auf dem Wahlplakat, das neben der Preisliste für Kaffee und Kuchen hängt.

„Ein Stück Butterkuchen, bitte“, ordert eine junge Frau und setzt ihre Kapuze ab. Regentropfen perlen von ihrer Wachsjacke. „Umweltbelastend auf Pappe, oder nicht umweltbelastend in die Hand“, will die Kuchenverkäuferin wissen. Die junge Frau stutzt. In ihrem Blick lodert der Trotz. „Umweltbelastend auf Pappe, bitte“, erwidert sie.

„Wir sind alle hier, wenn Ihr mit uns diskutieren wollt“, ruft die Bremer PDS-Kandidatin Marina Stahmann vom Rednerpult in die Menge. Die Kandidaten tragen Buttons an ihren Regenjacken: „PDS – Heidi, PDS – Dagmar, PDS – Michael“. Doch kaum jemand scheint sich für die Kandidaten zu interessieren.

Immer mehr Schirme drängeln sich auf dem Goethe-Platz. „Ich habe die große Ehre und das große Vergnügen“, kündigt Stahmann Gysi an. Die Bremer stünden tief in seiner Schuld, sagt sie und spielt auf den Unfall des Bundestagsabgeordneten im Juni an. Bei einem Fußballturnier in der Bremer Stadthalle zugunsten mukoviszidosekranker Kinder hatte Gysi sich als Torwart an beiden Händen drei Finger gebrochen. Beide Hände in Gips fuhr Gysi zurück nach Bonn. „Das war wenigstens für einen guten Zweck, es ging immerhin um kranke Kinder“, winkt Gysi ab. Applaus. Hinter ihm prangt der Slogan: „Für eine gerechtere Republik – PDS“.

Gysi kommt gleich zur Sache. Die PDS werde sich „nie damit abfinden“, daß Menschen wegen ihrer Herkunft, Hautfarbe oder sexuellen Vorlieben „benachteiligt“ würden. Selbst wenn die Bayern ab morgen benachteiligt würden, nur weil sie aus Bayern kämen, würde sich die PDS für sie stark machen, verspricht er und kommt auf die Transferleistungen von West nach Ost zu sprechen. Die Summe werde „künstlich hochgerechnet“, um „die Menschen im Osten zu demütigen“ und „den Menschen im Westen“ das Gefühl zu vermitteln, „daß es sozial bergab geht“. Das führe zu einer „Entsolidarisierung der Gesellschaft“, mahnt Gysi. „Bravo, Bravo“, schallt es unter den Schirmen hervor. Die Wähler müßten PDS wählen, um ein Signal zu setzen. Ein Signal gegen Ausländerfeindlichkeit zum Beispiel. Er habe Rechtsradikale bislang immer nur vor Asylbewerberheimen gesehen, sagt Gysi. „Vor der Deutschen Bank habe ich die alle noch nicht gesehen. Da fehlt denen der Mut.“ Sein Satz unmittelbar davor: „Armut bekämpft man nur wirksam, indem man Reichtum begrenzt.“ „Das war ein schlimmes Jahrhundert“, fährt Gysi fort. „Die schlimmsten, von allen Verbrechen waren die der Nazis, und die etablierten Parteien haben nicht das Recht, das zu enttabuisieren, indem sie die Parolen übernehmen.“

Gysi kommt auf eines seiner Lieblingsthemen zu sprechen. Die Zahl der Einkommensmillionäre sei seit 1989 um 40 Prozent auf 360.000 gestiegen. „Und das sind nur die, die ihre Einkommen beim Finanzamt angeben“, ruft der Politiker. „Außerdem haben wir 100 Milliardäre.“ Darunter seien Leute, die zehn Millionen Mark im Monat verdienten. „Den Lohnstreifen müssen Sie sich mal vorstellen.“ Zustimmendes Nicken unter den Schirmen. Und die FDP versuche noch immer solche Verdienste mit dem Leistungsprinzip zu rechtfertigen. „Da kannst Du Tag und Nacht schuften. Und ob eine alleinerziehende Mutter mit Kind weniger leistet, dahinter mache ich mal ein großes Fragezeichen.“ Gysi ist in seinem Element. Offenbar spürt er, daß ihm die Köpfe unter den Schirmen wohlgesonnen sind.

„Eigentum verpflichtet“, ruft Gysi und hebt den Arm. Sein roter Seidenschlips bebt. Reiche hätten eine Verantwortung für das Allgemeinwohl, mahnt der Politiker. „Und damit die sich nicht Tag und Nacht Sorgen um das Allgemeinwohl machen, kann man sie von einem Teil der Verantwortung gleich befreien, in dem man es dem Allgemeinwohl zur Verfügung stellt.“ Gelächter unter den Schirmen. Vereinzelter Applaus.

Eine Luxussteuer will Gysi einführen. Für jemanden, der sich einen Porsche leisten könne, sei es schließlich egal, ob er 16 oder 22 Prozent Mehrwertsteuer zahle. Dagegen solle die Mehrwertsteuer für Kinderbekleidung, Handwerksleistungen und Arzneimittel auf sieben Prozent gesenkt werden. „Natürlich wollen wir keine Gleichmacherei“, beeilt sich Gysi zu versichern. Aber Leistung und Kompetenz dürften nicht mehr so „maßlos“ belohnt werden, „wie das heute der Fall ist“. Er habe den Verdacht, daß die Bundesregierung sich nicht genügend um das Problem der Arbeitslosigkeit kümmere. „Wenn immer mehr draußen sind“, könnten die Arbeitgeber schließlich „Druck ausüben auf die, die noch drinnen sind.“ Gemurmel unter den Schirmen. Unerträglich sei auch das Problem der Jugendarbeitslosigkeit. „Wer Jugendliche nicht ausbildet, soll mir hinterher nicht mit Jugendkriminalität kommen, weil er Jugendkriminalität organisiert hat.“ „Brave, Bravo“, ruft die Menge. Die SPD brauche die PDS, mahnt Gysi zum Schluß. „Ohne uns vergißt Gerhard Schröder, wer August Bebel war.“ Donnernder Applaus.

Nach der Rede Gysis drängeln sich die Schirme um den PDS-Informationsstand. Der Stapel mit den Wahlprogrammen schrumpft. 135 Mitglieder hat die PDS hier nach eigenen Angaben. Wahlumfragen zufolge liegt die Partei derzeit bei vier Prozent. Neben dem Stand mit Wahlprogrammen werden Ché Guevara-T-Shirts verkauft: „Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche“ steht darauf. Kerstin Schneider

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