■ Bonner Nebensachen aus aller Welt: Socken nach Jerusalem!
Natürlich sind sie alle hier, die parteiischen deutschen Stiftungen, namentlich Ebert, Adenauer, Naumann, Seidel und Böll. Die meisten überdies gleich zweimal, einmal in Israel und einmal in den palästinensischen Autonomiegebieten. Das gehört sich auch so. Die Zielgruppen sind schließlich total unterschiedlich und verfeindet obendrein. Sie sprechen verschiedene Sprachen. Und sie haben ihre ganz eigenen Erfahrungen mit Deutschland. Die Stiftungen wissen das zu berücksichtigen, in der Wahl ihrer Themen, in der Auswahl ihrer Referenten, in der Präsentation. Minderheiten finden Beachtung, religiöse und kulturelle Konflikte, Wirtschaftsthemen, die europäische Einheit und – unvermeidbar – der israelisch-palästinensische Konflikt. Es gäbe da eigentlich gar nichts auszusetzen, wenn wir nicht gerade im Wahlkampf wären. Also, ich meine, im deutschen Wahlkampf. Der um den Bürgermeisterposten in Jerusalem hat zwar auch schon begonnen. Aber davon soll jetzt nicht die Rede sein.
Um die deutschen Stimmen in Israel kümmert sich niemand. Wahlkampfgeschenke wie Füllfederhalter, Kugelschreiber, Luftballons oder Socken in den Nationalfarben hat hier bedauerlicherweise keine Partei verteilt. Und weil meine Stimme als Auslandsdeutscher so gering geschätzt wird, spiele ich ernsthaft mit dem Gedanken, gar nicht zu wählen, damit wenigstens keine Partei die 3,50 Mark Wahlgeld einstreichen kann, oder sind es inzwischen sogar fünf Mark. Also, liebe Parteien, dies ist die letzte Aufforderung, und ich spreche damit auch im Namen Tausender deutscher Mitbürger in Israel und Palästina, die dringend neue Socken brauchen. Die Kugelschreiber könnten ja gut über die parteiischen Stiftungen hier verteilt werden. Dann hätten die wenigstens auch eine Rolle im Wahlkampf.
Ganz können sie damit freilich ihr bildungspolitisches Versagen in Israel nicht übertünchen. Das betrifft weniger die Deutschen als vielmehr die Israelis und die Palästinenser. Zwar hat wenigstens die SPD ihren Kandidaten im Frühjahr hierher geschickt, aber einen bleibenden Eindruck hat auch er nicht hinterlassen.
Das jedenfalls ist das Ergebnis einer repräsentativen Blitzumfrage des „Meinungsforschungsinstituts taz“ in Jerusalem. Jeweils zehn unterschiedlich gekleideten Personen im jüdischen West- und im arabischen Ostjerusalem hat das Institut die Frage gestellt: „Wissen Sie, wer Gerhard Kohl und wer Helmut Schröder ist?“. Von den 20 befragten Personen antworteten 90 Prozent mit „Nein“. Eine Person verweigerte die Aussage. Nur eine ältere Dame in Westjerusalem korrigierte die Frage: „Sie meinen doch Helmut Kohl oder?“ Dieser Dame sollte die CDU sofort Nylonstrümpfe zukommen lassen.
Die hundertprozentige Unwissenheit der Palästinenser ist leicht erklärt. Unter den deutschen Stiftungen ist nach wie vor umstritten, wer eigentlich für Ostjerusalem zuständig ist. Doch auch die Ignoranz der Israelis gegenüber der „deutschen Schicksalswahl“ hat rein oberflächliche Gründe. Außer ein paar alten Jeckes interessiert hier niemand, was in Deutschland innenpolitisch passiert. Das israelische Fernsehen hat den Korrespondentenposten in Deutschland schon vor Jahren aufgegeben. Eines steht für die Israelis ohnehin fest: Ob Kohl oder Schröder, für sie ändert das rein gar nichts. Und für die Palästinenser auch nicht.
Der Gedanke drängt sich auf, daß unsere Stiftungen das schon vorher gewußt haben. Und von daher jede parteipolitische Aufklärungsarbeit unterlassen haben. Schwamm drüber. Wir Deutschen in Israel sind die wahren Gelackmeierten. Aber das mit den Kugelschreibern und den Socken wurmt mich persönlich ganz besonders. Georg Baltissen
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