: Auch wenn er nicht mehr ist, ist er. Vieles aber geht
■ Sein Rücktritt wurde wie eine Todesnachricht verbreitet, doch Berti Vogts ist unsterblich. Unvergessen bleiben werden Wortschöpfungen wie „Bertis Buben“ oder sein unnachahmliches „Ja“
„Wir werden alle Gewißheiten bis zuletzt ausschöpfen.“ (Vogts)
Das Experiment dauerte immerhin acht Jahre. Es lautete: Kann ein so offenkundig verkrampfter Mensch wie Hans-Hubert Vogts mit spürbar paranoider Angst vor der Presse im Medienzeitalter den größten Einzelsportverband der Welt repräsentieren? Er konnte, weil die Deutschen ein Volk von Masochisten sind. Und weil herzerweichendes Mitleid mit einem Opferbereiten eine der nachhaltigsten Emotionen ist.
Acht lange Jahre. Und so ist es kein Wunder, daß Berti Vogts, auch wenn sein Rücktritt wie eine Todesnachricht verbreitet wurde, in Wahrheit unsterblich ist. Sogar sich selbst kann er überleben. Morgen nachmittag etwa wird im ZDF bei „Mensch Ohrner!“ eine kürzlich aufgezeichnete Fußballdiskussionsrunde, obwohl von der Aktualität längst überholt, trotzig ausgestrahlt. Absetzen nach der Demission? Kein Thema, sagt Produktionsredakteurin Sandra Geiss, Vogts sei auch posthum „würdigungsfähig“, kurzum: „eine Person der Zeitgeschichte“ und mit einer anderen berühmten Locke vergleichbar: „Auch über Elvis wird man noch lange sprechen.“
Phänomen Ha-Hu Vogts: Auch wenn er nicht mehr ist, ist er noch. Vieles aber geht. Abrupt enden die Persönlichkeitsverschiebungen im Fanvolk („wenn ich Berti wäre...“). Schnell abebben werden die Hänseleien von Sohn Justin in der Schule. Gattin Monika kann relaxter im Großraum Kleinenbroich/Büttgen spazierengehen, ohne daß diese „Medienvertreter“ der Familie auflauern. Und auch die Spieler können sowohl ihre passiven Boykotts (Rücktritte auf Zeit) als auch die aktiven (auf'm Platz in Malta) beenden.
Nie werden wir sagen können, daß er ein schlechter Trainer war. Niemand außer Vogts hätte in Frankreich mit dieser Gruftie- Combo, mit notlos personell und taktisch ständig veränderter Abwehr, mit dem rückberufenen Matthäus – dessen plötzliche Existenz alle Vorbereitungsmonate zuvor ad absurdum geführt hat – mehr erreicht als das sensationelle Viertelfinale. Und irgendwann wird die Verschwörung der Kroaten mit dem Weltschiedsrichtertum auch noch bewiesen.
Postbertial vermissen wir unser Haareraufen ob seines Dauerbombardements grammatikalischer Kuriositäten ebenso wie den kopfschüttelnden Spaß beim Lesen der Bild-Zeitung ob deren Schmutzwürfe. Die deutsche Sprache wird verarmen, weil jetzt auch Kleinodien wie Bundesberti oder Bertibuben abgedankt haben. Was wären dagegen Heynckes Helden, Daumdeutsche, Ottonationaljungs?
Bleiben wird die Erinnerung an das schöne Vogts-Wörtchen „ja“. Wie der Blondkohler großer deutscher Fußballtage seine Phrasen damit immer so unnachahmlich tonlos, fast beiläufig beendete, selbstbestätigend, zweifelausräumend – alles nunmehr perdu. Das Vogtssche Ja, durch kein Rhetorikseminar auszumerzen, wird als germatisiertes „isn't it“ in die Sprachgeschichte eingehen.
Wahrscheinlich ist Vogts, ähnlich wie Torwart Köpke, erst so spät zurückgetreten, weil die Werbeverträge nichts anderes zuließen. Danone wird jubeln. Denn wenn dessen Obstgarten wirklich so schmecken würde, wie Vogts im TV-Spot beschwor, hätte den Deutschen jedesmal eine kollektive Lebensmittelvergiftung gedroht. Nur: Was wird ein Berti Vogts jetzt beruflich machen? So kurz vor der Wahl ein prominenter Arbeitsloser mehr, das kann auch einen Helmut Kohl in den Abgrund reißen. Der Rücktritts-Vortritt durch den „deutschen Fußball-Bundeskanzler“ (Süddeutsche Zeitung) als menetekolöses Wahlfanal? Bernd Müllender
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