: Sowohl als auch
■ Kim Kashkashian spielte im Rathaus Romantisches und dessen liebevolle Parodie
Wo auch immer die amerikanische Bratschistin armenischer Abstammung Kim Kashkashian auftritt, kann man eines überlegten und originellen Programmes sicher sein. Die Professorin an der Hanns Eisler-Musikhochschule in Berlin ist stets auf der Suche nach neuen Wegen und Werken, und so sind nicht wenige für sie geschrieben worden. Dasselbe gilt für den Pianisten Robert Levin: Beide traten jetzt zusammen beim Musikfest auf. Werke von Robert Schumann und Johannes Brahms vertraten sozusagen die Avantgarde des 19. Jahrhunderts, Werke von György Kurtag und György Ligeti die des 20. Schumanns „Fünf Stücke im Volkston“ – im Original für Cello und Klavier – bestechen durch ihre Charakteristik. „Mit Humor“ und „stark und markiert“ wird von den Interpreten verlangt. Damit waren sie bestens aufgehoben bei dem Duo, obschon beide dazu neigten, über den reinen Notentext hinaus Phrasierungen und Rubato anzubringen. Vielleicht war eine höhere Instanz damit nicht zufrieden, denn nach dem vierten Stück, exakt nach dem Schlußton, erklang ein so gewaltiger Donnerschlag, daß Frau Kaskashian zusammenzuckte und erst nach Sekunden ihr Lachen wiederfand. Auch wirkte ihre Tonsubstanz im Piano seltsam dünn und unpräsent; und zwar nicht, als sei's als interpretatorische Konzeption gedacht.
Auch für die „Fantasiestücke“ op. 73 von Robert Schumann vermieden die beiden jeden äußeren Gestus, sondern wahrten sorgfältig ein grundsätzliches Anliegen des Komponisten: Musik sei „Seelensprache“. Man konnte sich allerdings des Eindrucks, daß beide alles nach innen nahmen, dadurch auch Gesten wie „Rasch und mit Feuer“ verfehlten, nicht ganz erwehren. Vielleicht war dies aber auch eine Frage der konkreten Atmosphäre: Nach wie vor ist die so schöne Obere Rathaushalle für eine intime Kammermusik unpassend, die Kommunikation reicht kaum über die fünfte Reihe hinaus.
Dies Problem überspielen konnte Robert Levin mit der Wiedergabe von György Kurtags „Jatekk“, dem pädagogischen Klavierwerk, mit dem der ungarische Komponist im Westen bekannt wurde. Anders als Bartoks „Mikrokosmos“ beansprucht „Jatekk“ die kreativen Impulse der SpielerInnen. Einfühlsam und mit viel Humor spielte Levin die „Hommage à Verdi, Beethoven, Schubert, Scarlatti“. Die Idee dazu hatte der Komponist schon als Sechsjähriger, als er Tschaikowskys Klavierkonzert gern können wollte. Dessen wuchtige Eingangsakkorde werden in „Hommage à Tschaikowsky“ darüber erreicht, daß mit größter Kraft die ganzen Handflächen abwechselnd auf die Tasten geknallt werden: Man muß nicht lange rumraten, um die kopierte Geste zu erkennen.
György Ligetis Sonate für Viola solo ist 1991 bis 1994 geschrieben und zählt damit zu seinem Spätwerk, in dem der einstmals revolutionäre Komponist jegliche ästhetischen Dogmen ablehnt: Bachisch vielstimmig grübelnd mit Mikrointervallen bewältigte Kim Kashkashian das immens schwere Werk. Und die abschließende Sonate in f-Moll, op. 120/1 – eigentlich für Klarinette und Klavier – von Johannes Brahms zeigte noch einmal ein perfektes Zusammenspiel, eine unaufgesetzte Dramatik und eine sorgfältige Differenzierung von Brahms' ständig wechselnden Interpretationsangaben: So, wenn er im Andante für die viermalige Wiederholung der Melodie verlangt, daß sie einmal „poco f“, einmal „dolce“, einmal „p espressivo“ und ein letztes Mal „pp“ gespielt werden soll. Viel Beifall in dem ausverkauften Saal.
Ute Schalz-Laurenze
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