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Arafat und Rabin sind gescheitert

■ Nach fünf Jahren erweist sich das Osloer Abkommen als Schimäre, weil Israel sein Territorium als seinen Besitz reklamiert

Das Osloer Abkommen wurde tausendfach totgesagt, es ist aber einfach nicht unter die Erde zu bringen. Ein Dollpunkt der Geschichte, den niemand ungeschehen machen kann, aber kaum einer mehr wahrhaben will. Ein israelisches Diktat, das den Segen der PLO empfing, die Umarmung Amerikas und die fragwürdige Unterstützung der Europäer. Letztere zahlen für den Verzicht der Palästinenser auf das Selbstbestimmungsrecht, auf Demokratie und Menschenrechte. Die Verheißungen der Intifada sind Stein geworden, Eckpfeiler einer palästinensischen Autokratie, deren Demokratieverständnis so aufgesetzt ist wie die Mär von der Pressefreiheit. Und ihr gegenüber eine israelische Gesellschaft, die sich für demokratisch und moralisch überlegen hält und dennoch in relevanten Teilen den Palästinensern nach wie vor nationale Rechte, die Gleichberechtigung und die Menschenwürde abspricht. Nicht verbal, sondern praktisch, durch die offizielle Regierungspolitik.

Was ist ein Friedensprozeß wert, der die Zerstörung von Häusern zuläßt, die Enteignung von Land, die Folter von Verhafteten, den Tod an einer x-beliebigen Straßensperre? Und das Tag für Tag. Wer hat da was verhandelt und zu wessen Nutzen? Palästinensische Bauern werden von israelischen Siedlern mit Waffengewalt daran gehindert, ihr Land zu bestellen. Die israelische Armee sieht zu. Studenten können nicht zur Universität gehen, weil ihnen die Genehmigung zu einer Reise zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland verwehrt wird. Ausweise werden entzogen, um Jerusalem „araberrein“ zu machen. Nicht einmal ausreichend Trinkwasser erhalten die Palästinenser, weil Israel ihnen den Hahn zudreht, während einen Steinwurf entfernt die Siedler im Swimmingpool planschen. Oslo war nie „ein Frieden der Tapferen“, sondern ein Vertrag zwischen Ungleichen. Oslo ist nicht am Terror von Hamas gescheitert, wie furchtbar er auch immer gewütet hat.

Die Vereinbarungen von Oslo haben einen fatalen Geburtsfehler. Das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung wurde schlichtweg ignoriert, und das von beiden Seiten. Israel mußte sich nicht einmal als Besatzungsmacht zu erkennen geben. Die völkerrechtliche Legitimation eines nationalen Befreiungskampfes wurde verkauft für ein Linsengericht, das den schönen Namen „Land gegen Frieden“ trug. Aber wieviel Frieden bringt wieviel Land? Oslo hat nicht einmal explizit weitere israelische Landenteignungen in den besetzten Gebieten verboten. Und auch nicht den Ausbau der Siedlungen. Das Land haben denn auch die Siedler genommen und das bißchen Frieden die Hamas. Ein islamisches Palästina als koranisches Heilmittel gegen den alttestamentarischen Usurpationsanspruch der Siedler. Gewinnen kann da nur der Stärkere, aber nicht die Vernunft.

Man muß den Unterhändlern von Oslo den „guten Willen“ nicht absprechen. Aber man kann die historischen Umstände des Vertrags nicht leugnen. Es ist unschwer zu erkennen, wer wen über den Tisch gezogen hat. Geblieben ist das geschriebene Wort, das heute in den Händen von Tricksern und Täuschern liegt. Jeder Mord eine neue Siedlung, jeder Steinwurf eine neue Umgehungsstraße. Den Besetzten, die die Legitimität der Besetzung anerkannt haben, bleibt nur die Ohnmacht. Sie gleichen Dienern doppelter Herren. Aber wie lange können sie ein solches Joch ertragen?

Die Legitimation des Anspruchs auf Groß-Israel ist noch immer mehrheitsfähig, sowohl auf der Rechten wie bei einem Teil der Linken. Und sie ist aktuelle Regierungspolitik. Die Parole „Land gegen Frieden“ war und ist purer Pragmatismus, eine Bringschuld an die politischen Machtverhältnisse. Das ist das unauflösbare Dilemma der Linken. Der politische Zionismus der Gründerzeit ist dem religiösen Fanatismus der Orthodoxie ausgeliefert.

Das Dilemma ist größer, als der erste Anschein vermuten läßt. Die jüdische Religion meint nicht nur die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen, sondern existentiell die Beziehung zwischen dem Land und den Menschen. Und Jakobs Grab in Nablus, Rachels Grab in Bethlehem oder die Machpela-Höhle in Hebron, wo Abraham und Sarah vor Tausenden von Jahren ihren letzten Frieden gefunden haben, begründen einen religiösen Anspruch, der sich politisch im Fanatismus der Siedler manifestiert.

Wenn auch konträr, so ist doch der Anspruch der Islamisten, ganz Palästina als heiligen muslimischen Boden zu betrachten, der von den jüdischen Okkupanten befreit werden muß, ideologisch komplementär. Klare Verhältnisse, sozusagen. Die Muslime sind Gegner, Feinde, möglicherweise auch Verhandlungspartner. Dies gilt umgekehrt genauso. Die Ausschließlichkeit des Anspruchs begründet das gegenseitige Verständnis und die fortdauernde Feindschaft.

Diese Ausschließlichkeit, die im israelisch-palästinensischen Konflikt zuvor auch politisch säkular existierte, hatte das Oslo-Abkommen erstmals durchbrochen, wie vage und einseitig auch immer. Das war und ist sein historisches Verdienst. Die gegenseitige Anerkennung zwischen der PLO und Israel legte den Grundstein zu einem möglichen historischen Kompromiß. Doch greifen konnte er nicht, weil Israel etwas hätte abgeben müssen, was es, ob nun aus religiösen oder aus Sicherheitsgründen, immer noch als seinen natürlichen und legitimen Besitz reklamiert: das Land. Die israelische Gesellschaft ist heute in ihrer Mehrheit noch nicht bereit, das historische und das aktuelle Unrecht einzugestehen, das sie den Palästinensern angetan hat und weiterhin antut. Und damit unfähig, dieses Unrecht zu korrigieren. Solange das aber nicht geschieht, wird es keinen Friedensprozeß geben, der diesen Namen verdient.

Das Osloer Abkommen wurde als Schimäre geboren, weil seine Geburtshelfer sich als ängstliche Zauderer erwiesen, die den großen Wurf nicht wagten, den eines mutigen Friedensschlusses zwischen einer halben Kolonialmacht und einer halben Befreiungsbewegung, den einer Teilung von Land und Macht. Das impliziert das historische Scheitern so legendärer Persönlichkeiten wie Rabin und Arafat. Über den politischen Opportunismus der heutigen PLO-Bürokratie wird die Geschichte den Mantel des Schweigens breiten. Ihre Zeit ist vielleicht noch nicht abgelaufen, ihr Ende jedoch absehbar. Freiheit und Frieden aber wird dieses Jahrhundert weder Palästinensern noch Israelis bescheren, trotz oder wegen Oslo. Georg Baltissen

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Pragmatismus, eine Bringschuld an die politischen Machtverhältnisse. Das ist das unauflösbare Dile

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