■ Vorschlag: „Sag beim Abschied leise...“: eine Ausstellung zur Unterhaltungskultur
Der Wiener Robert Dachs ist ein Sammler. Seit 25 Jahren sammelt er alles, was er zur Unterhaltungskultur in Wien und Berlin der ersten drei Jahrzehnte dieses Jahrhunderts finden konnte. Das ist viel, doch gemessen am Reichtum jener Jahre ist es wohl wenig. Denn viele der herausragenden Beiträge stammen von jüdischen Künstlern. Nach der Machtübernahme wurden sie verdrängt, verjagt, ermordet und vergessen. „Sag beim Abschied leise ...“ heißt die kleine, große Ausstellung, die derzeit im Deutschen Historischen Museum zu sehen ist und die die wunderbare Wiener Sammlung erstmals komplett zeigt.
Man denkt, man weiß das alles längst. Doch wie gründlich die sogenannte Kulturpolitik der Nazis nachwirkt, wird noch einmal klar, wenn man durch die Ausstellung läuft, die den vertriebenen und vergessenen Künstlern gewidmet ist. Natürlich sind Max Reinhardt, Fritz Kortner oder Elisabeth Bergner dabei. Wirklich bedeutend ist die Ausstellung aber, weil sie das Flüchtige ebenso ernst nimmt, wie das Ewige. (Unbedingt erwähnenswert: die Ausstellungsarchitektur der Leipziger Bühnenbildnerin Ulrike Siegrist.) Dadurch wird noch einmal eine Epoche beschworen, die ihren Glanz auch daher bezog, daß sie an die Trennung von U- und E-Kultur nicht mehr glaubte. Man geht vorbei an Schaukästen, wo zwischen glitzernden Straßsteinen, Parfüm-Flakons und Glacéhandschuhen alte Plattenhüllen und Photographien von den Stars von damals liegen. Im Hintergrund verbreiten alte Schlager melancholischen Schmelz. An den Wänden gibt es Bilder von Schlagertextern, deren Lieder bis heute berühmt sind, von Schauspielern und Operettenstars, die niemand mehr kennt, von Komponisten, die einsam und unbekannt gestorben sind oder ermordet wurden. Zum Beispiel Fritz Löhner-Beda, der Librettist von Franz Lehar, der „In der Bar zum Krokodil“ schrieb und 2.000 andere Schlager, von denen man die berühmtesten in der „Bar zum Krokodil“ hören kann, die im Zeughaus aufgebaut ist. Löhner- Beda starb in Auschwitz.
Zu lesen gibt es auch Auszüge aus Nazi-Rezensionen, widerlich im Ton und in ihrer menschenverachtenden Ignoranz. Damals eroberte die Kasernenhof-Ästhetik die deutsche Popkultur, von deren brutalem Stumpfsinn sie sich nie mehr erholt hat. Esther Slevogt
Bis 30. 12., Do.-Di. 10-18 Uhr, DHM, Unter den Linden
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