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Ein Kandidat mit Muffensausen

■ Das Ergebnis der Bayernwahl hat den Sozialdemokraten die gute Laune vermiest. Hat man im Wahlkampf Fehler gemacht? Hätte man mehr auf Inhalte als auf die Person Schröder setzen sollen? Zweifeln ist streng verboten. Und doch kommen Zweifel am Wahlsieg in Bonn auf.

Gerhard Schröder wirkt angeschlagen. Eine Stunde lang ließ er die Journalisten am Sonntag abend in der niedersächsischen Staatskanzlei auf sein Statement zum Ausgang der bayerischen Landtagswahl warten. Schon das war ungewöhnlich. Er sprach fünf Sätze, drehte sich auf dem Absatz um und verschwand zur Verblüffung der Anwesenden, die ihm nicht einmal mehr eine Frage hinterherrufen konnten.

Auch am nächsten Morgen schien der Kanzlerkandidat seine alte Souveränität noch nicht wiedergefunden zu haben. „Das Ergebnis der Landtagswahl habe ich ja gestern schon kommentiert und will das nicht wiederholen“, sagte er am Montag morgen in der Bundespressekonferenz, fügt aber im gleichen Atemzug an: „Aber ich kann's ja noch mal wiederholen.“ Geraune im Publikum. Solche Patzer passieren ihm gewöhnlich nicht.

Die SPD ist nervöser, als sie zugeben will. Zum ersten Mal seit vielen Monaten erhielt sie einen deutlichen Dämpfer. Bisher bestand die Strategie darin, positive Ereignisse auszunutzen bzw. selbst zu setzen und damit die Schlagzeilen zu beherrschen. Selbst den Wechsel von Johannes Rau zu Wolfgang Clement als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen verstand die SPD als Ereignis, das die Euphorie um die Sozialdemokraten weiter befördern konnte. Aber schon die Sachsen-Anhalt- Wahl geriet nicht so zum Triumph, wie es die Meinungsumfragen versprochen hatten. In Bayern gab es nun sogar eine deutliche Niederlage.

Jetzt auf einmal muß die SPD darüber grübeln, ob es sich dabei um eine Tendenz handelt und sich der Schröder-Bonus verbraucht – zumal Schröder immerhin achtzehnmal in Bayern als Wahlkämpfer auftrat. Zwar ist das angesichts der Besonderheiten einer Bayern- wahl nicht gerade zwingend, aber das Schlimme für die SPD ist, daß sie jetzt überhaupt Anlaß zum Grübeln hat. Sie gerät damit in die Defensive, obwohl sie doch bisher darauf gesetzt hat, Siegeszuversicht zu verbreiten. Als entscheidenden Erfolg für die Bundestagswahl sehen es nämlich Sozialdemokraten wie Union an, vorab als die aussichtsreichste Partei zu erscheinen. Sie glauben, daß viele Wähler möglichst auf der Seite der Sieger stehen wollen.

Schon allein die Diskussion darüber, ob Renate Schmidt aus dem Wahlergebnis Konsequenzen ziehen sollte, verstärkt nun den Touch der SPD als Partei, die möglicherweise doch noch auf die Verliererstraße gerät. „Wie, sie ist nicht zurückgetreten?“ fragte ein Genosse überrascht, der die Pressekonferenz von Renate Schmidt und Parteichef Oskar Lafontaine gestern morgen selbst nicht mitbekommen hatte. „Rücktritt“, das Wort allein... Und auch Gerhard Schröder nahm im Frust der Niederlage unbedacht ein „Bäh- Wort“ für Sozialdemokraten in den Mund. Bei der Bundestagswahl, sagte Schröder, werde sich entscheiden, ob ein verbrauchter, in der Vergangenheit stehender Bundeskanzler „wiedergewählt“ werde. „Wiedergewählt!“ Viel zu positiv, das Wort.

Es zeigt sich, daß nicht so sehr das Wahlergebnis an sich, sondern vielmehr dessen Auswirkungen die SPD in die Bredouille bringen könnte. Schließlich gibt es jede Menge Gründe, warum die Bayernwahl nicht symptomatisch für den Bundestagswahlkampf sind. Oskar Lafontaine führt an, in Bayern sei die eigene Wählerschaft deswegen nicht genug motiviert gewesen, weil es keine Chance zu einem Regierungswechsel gegeben habe. Das werde bei der Bundestagswahl anders sein. Renate Schmidt berichtet, viele Wähler hätten ihr versichert, bei der Bayernwahl zwar die CSU zu wählen, aber dann mit zu helfen, Helmut Kohl als Bundeskanzler zu stürzen. Und Gerhard Schröder betont, am 27. September stehe kein erfolgreicher Ministerpräsident zur Wahl, sondern Kohl. Trotzdem bleibt die Frage: Warum hat die SPD trotz Schröder diesmal sogar noch schlechter abgeschnitten als vor vier Jahren?

Selbst den gewieftesten Medienprofis der SPD fallen darauf keine Antworten ein. Die Strategie, so ein Vordenker der SPD- Fraktion, müsse jetzt darin bestehen, die Lufthoheit in der öffentlichen Meinung für die SPD zurückzugewinnen. Zur Zeit stellten die Medien den Erfolg der CSU heraus, laufend würden die Akteure der Koalition zitiert. Eine bessere Werbung könne sich die CDU vierzehn Tage vor der Bundestagswahl kaum wünschen. Bei den Medien allein, so der Genosse, könne jetzt aber bestenfalls ein paritätisches Verhältnis hergestellt werden. Deswegen müsse die SPD massiv Werbung kaufen. Am besten so, wie es die CDU in der Bild- Zeitung mache: mit schönen großen Anzeigen.

Aus all dem spricht die Skepsis einer seit 16 Jahren unterlegenen Partei, nicht genug für den Wahlsieg getan zu haben. Ratlos fragen sich die Sozialdemokraten: Haben wir etwa doch zu sehr auf den Zweikampf Schröder/Kohl gesetzt? Hätten die Inhalte mehr betont werden müssen?

Schröder betonte gestern, die SPD habe keinen Grund, ihren Wahlkampf zu ändern. Er ließ eine Pressemitteilung ausgeben, in der die wichtigsten Programmpunkte der SPD aufgeführt waren. Zudem will er bewußt auf den Zweikampf zwischen Kohl und „dem unverbrauchten Kandidaten“ setzen. Die Zuversicht aber scheint dahin. Es klingt mehr zweifelnd als kämpferisch, wenn er sagt: „Nix ist gelaufen!“ Markus Franz, Bonn

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