: Der Verlierer ist: Berlin
Vor fünf Jahren scheiterte in Monaco die Berliner Bewerbung für Olympia 2000. Genutzt hat es trotzdem nichts ■ Von Uwe Rada
Es war Volker Hassemer, der im Januar 1997 eine bemerkenswerte Bilanz zog. „Ich glaube, die Menschen in einer veränderten Stadt“, sagte Hassemer dreieinhalb Jahre nach der gescheiterten Olympiabewerbung, „empfanden sich und die gesamte Situation mental zu Beginn der neunziger Jahre eher als fremd. Das war vielleicht stärker als die Lust, gemeinsam eine Olympiade auf die Beine zu stellen.“ Deshalb, so der ehemalige Stadtentwicklungssenator, sei die Olympiabewerbung im Nachhinein ein falsches Projekt zur Identitätsfindung gewesen.
Mit seinem selbstkritischen Resümee steht der heutige Geschäftsführer der Hauptstadtmarketing- Gesellschaft „Partner für Berlin“ allerdings allein. Genau fünf Jahre nach dem Aus in Monte Carlo gehören die Berliner Olympiabewerbung, deren Präsentation am 23. September 1993, die Skandale der Olympia GmbH sowie die Versuche ihrer Vertuschung noch immer zu den Tabuthemen der Stadt. Nichts will man in der Hauptstadt der Verdrängung weniger hören als Nachrichten von ihrem Scheitern. Dabei wäre gerade eine Auseinandersetzung mit dem Scheitern und den Gründen, die dazu geführt haben, eine wesentliche Voraussetzung, um die aktuellen Konflikte und Probleme der Stadt anders bewältigen zu können als durch Nichtbeachtung.
Spätestens mit der Ankunft der Berliner Olympiadelegation am 17. September im monegassischen Königsreich waren die Querelen um die Sex-Dossiers der Olympia- GmbH, um millionenschwere Werbeverträge und Abfindungen in den Hintergrund geraten. Selbst die letzte Berliner Großdemonstration gegen die Olympiabewerbung, die in den französischen Nachrichtenkanälen pausenlos über den Bildschirm flimmerte, spielte in der Entscheidung der IOC-Mitglieder nur eine Nebenrolle. Zur Bewertung standen vielmehr die ökonomischen Chancen und Risiken der fünf Bewerberstädte Berlin, Sydney, Peking, Manchester und Istanbul sowie deren Wahrnehmung als internationaler Schauplatz für ein Großereignis wie die Olympischen Spiele. Eine Wahrnehmung, die sich weniger auf die historische und geopolitische Bedeutung der Bewerberstädte bezog, als vielmehr auf deren gegenwärtige Möglichkeiten, ein Ereignis dieser Größenordnung ohne Reibungsverluste zu organisieren und gewinnträchtig zu vermarkten.
Die Berliner Bewerber freilich waren sich dessen zu keinem Zeitpunkt bewußt. Noch am Morgen des 23. September 1993, als sich im Sternensaal des Palais d'Omnisport in Monaco der Vorhang für die fünf Präsentationen öffnete, setzte die aus Manfred Kanther, Edzard Reuter, Eberhard Diepgen, Franziska van Almsieck, Steffi Graf, den beiden deutschen IOC-Mitgliedern Thomas Bach und Walther Tröger und Olympia-GmbH- Chef Axel Nawrocki bestehende Delegation ganz auf Berliner Hausmannskost: Eberhard Diepgen stellte in seiner Rede die Funktion Berlins als Ost-West-Drehscheibe in den Vordergrund und bemühte dafür per Videoeinspielung die Herren Reagan und Gorbatschow. Der steife Innenminister Kanther wurde – ebenfalls per Video – von Ernst Reuter unterstützt, dessen Satz „you people of the world look at this city“ von den Anwesenden freilich nur mit Staunen quittiert wurde. Ernst Reuters Sohn Edzard schließlich, dessen Konzern Millionen in die Berliner Olympiabewerbung gesteckt hatte, bemühte den Sport als „wichtigstes Element von Freiheit und Frieden“.
Als einziger nahm Reuter auch zu den Olympiagegnern der deutschen Hauptstadt Stellung, die den offiziellen Bewerbern in den Vergangenheit ein um das andere Mal die Show gestohlen hatten. In einer Demokratie, gab sich Reuter ganz als Liberaler, dürfe man natürlich seine Meinung sagen. Doch auch Reuter hatte eine Meinung, die er abschließend den IOC-Altvorderen auf den Weg gab: „Bitte hören Sie nicht auf Versuche, die Wahrheit zu zerstören. Die überwältigende Mehrheit ist für Olympische Spiele in Berlin.“
Unterstützt von den TV-Bildern der Bertelsmann-Tochter UFA, dem klangvollen Geplätscher von Smetanas Moldau und den unpassenden Beifallsstürmen der eigens mitgebrachten 100 Claque des „Förderkreises Olympia“ nahm das Unheil für die Berliner Olympiabewerber damit seinen Lauf. Ganz im Gegensatz zum damaligen Sportsenator Jürgen Klemann, der sich noch auf einer Pressekonferenz (bei der sein Handy klingelte) am Tag davor gerühmt hatte, bereits 44 IOC-Stimmen „in der Tasche zu haben“, war Berlin nur für neun der 89 anwesenden IOC-Mitglieder der Kandidat Nummer eins für die Spiele. Schlechter schnitt nur Istanbul mit sieben Stimmen ab. Deutlicher hätte die Kluft zwischen der Eigenwahrnehmung als Nabel der Welt und der Nichtbeachtung von außen nicht ausfallen können als mit Juan Antonio Samaranchs Satz: „And the winner is – Sydney.“
War das Scheitern der Olympiabewerbung im Rückblick betrachtet eine Zäsur der Berliner Nachwendegeschichte, bei der sich nicht nur die Herren der Ringe von der „Dientleistungsmetropole“ abwandten, sondern auch zahlreiche Investoren, kann von einer Zäsur im Sinne einer Aufarbeitung der Niederlage keine Rede sein. Statt dessen landeten die Akten der Olympia GmbH im Reißwolf, um sie vor dem Zugriff eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu retten – oder werden den Betreibern der nacholympischen Sporthallen Millionen an Betriebskosten hinterhergeworfen. Und noch immer setzte man in der Hauptstadt auf den Zweckoptimismus, wie er nur olympischen Verlierern zu eigen sein kann. Nach Olympia waren es wechselweise die Bonner Regierung und Verbände oder die „neuen Urbaniten“, die dem totgesagten Berlin von außen neues Leben einhauchen sollten und für die die Stadt her- und zugerichtet wurde.
Spätestens seit 1997 jedoch ließ sich nicht mehr leugnen, daß auch dieser Traum platzen würde. Der Regierungsumzug, das wissen mittlerweile auch die hartnäckigsten Optimisten, wird der maroden Wirtschaft der Stadt keinen wesentlichen Impuls geben und statt der hochqualifizierten „Urbaniten“ sind es vor allem Armutsmigranten, die nach Berlin kommen. Wer hätte 1993 gedacht, daß von der Hochglanzrealität der Olympiabewerbung vier Jahre später nur „Problemquartiere“ und „Ghettos“ übrig bleiben?
Fast scheint es, als vollziehe sich die Entwicklung Berlins nach dem Mauerfall 1989 im Vierjahres- Rhythmus. Es fragt sich nur, von welchen Ereignissen und Ernüchterungen im Jahre 2001 die Rede sein wird. Eines freilich scheint schon heute vorhersehbar zu sein. Die selbstkritische Bilanz von Volker Hassemer, demzufolge die Menschen in einer veränderten Stadt sich und die Situation mental als fremd empfinden, wird auch 2001 noch Gültigkeit haben. Es sei denn, man würde aus Fehlern lernen.
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