: Fusslümmelei auf Rammdornen
„Vom Spielkaiser zu Bertis Buben“: In Aachen öffnet heute die erste umfassende Ausstellung über die Kulturgeschichte des deutschen Fußballs – sie ist ein Kuriositätenkabinett ■ Von Bernd Müllender
Aachen (taz) – Das soll Fußball sein? Wir blättern im ersten deutschen Lehrbuch aus dem Jahre 1919 und sehen einen streng gescheitelten Jüngling in längsgestreifter Trikotage auf ungemähter Blumenwiese, der armrudernd und kopfüber auf einen Ball niederzusinken scheint. Vorbildlich sei das, sagt die Bildunterschrift: „Stoppen des Balles durch Einknicken der Knie in Hockstellung.“ Solch halsbrecherische Finessen waren wohl üblich, wie Dutzende ähnliche Bilder zeigen – in der Ausstellung über 125 Jahre deutsche Fußballgeschichte „Vom Spielkaiser zu Bertis Buben“, die heute in Aachen eröffnet wird.
Fußballgeschichte. Die begann in Deutschland lange vor dem WM-Triumph 1954 in Bern. 1874 hatte der Turnlehrer Konrad Koch seine Schüler das Kicken gelehrt. Wir sehen staunend, welch sitzkissenähnliche Stoffhaufen (mit veritablen Löchern) und eierförmig Ledergenähtes (mit Schleifchen) einsten zum Ball erklärt wurden.
Damals, zu monarchistischer Zeit, hatten die Spielkaiser noch eine wichtige Rolle. Das waren, lange vor Erfindung des Trainer- und Schiedsrichtertums, die Mannschaftskapitäne einer jeden Fußball-15 (statt 11), bei denen spielbegleitende Regelwidrigkeiten wie Foul anzumelden waren. Die beiden Spielkaiser hatten solch Begehr dann, ziemlich basisdemokratisch das, intern auszudiskutieren.
Schuhe glichen anfangs mehr Mordwerkzeugen mit Rammdornen. Das Schienbeintreten, lesen wir, war lange regelkonform, anfangs durften die heransegelnden Bälle sogar mit der Hand gestoppt werden. 1905 wurden auf Plakaten noch die wichtigsten Regeln abgedruckt, damit „der süsse Mob“ (so ein kritischer Zeitgenosse) auch wußte, was da so gespielt wird.
Vieles läßt einen heute lächeln, was die beiden Aachener Eduard Hoffmann und Jürgen Nendza, nebenberuflich Inteamchef von Buntligist Juventus Senile, mit Enthusiasmus recherchiert, systematisch aufgearbeitet und in der Aachener Volkshochschule zusammengetragen haben. Ihre 35 Ausstellungstafeln, 15 kurzweiligen Textsäulen und all die leibhaftigen Raritäten sind zu einem schrulligen wie ansehnlichen Kuriositätenkabinett komponiert.
Die Macher haben mit Zeitzeugen gesprochen (einer trat 1933 beim Finale Fortuna Düsseldorf gegen Schalke 04 mit), Archive durchwühlt in Zeitungsmuseen, der Kölner Sporthochschule, auch die Bibliothek beim „durchaus kooperativen DFB“ (Nendza). Allerdings: „Bis auf die NS-Zeit – da ist beim DFB doch ziemlich viel abhanden gekommen...“ Der Verband arbeitet übrigens gerade an einer eigenen Jubiläumschronik zum Hundertjährigen im Jahr 2000. „Auf das Kapitel Fußball unterm Hakenkreuz bin ich mal sehr gespannt“, sagt Nendza.
Die Verbote, der Spott. Karikaturen von 1903 wollen uns „die Entartung der Beine“ demonstrieren; in Schulen war das Spiel oft bei Karzer verboten. Angewiderte Turnväter wie Karl Planck geißelten dieses „Strauchballspiel“ als „englische Krankheit“ und „Fusslümmelei“, die den Menschen zum Affen herabwürdige. Eine altvordere Gesundheitsvorschrift darf heute als frühe Lex Basler gelten: „Auf dem Platz darf sich niemand hinlegen oder müßig stehen.“
„Spielkaiser–Bertibuben“ zeigt Fußball als Spiegelbild der Gesellschaft: Seine Entstehung paßte zum neuen Bürgertum des Industriezeitalters – man lernte Selbstdisziplin, Planbarkeit, Gemeinschaftsgeist, Taktik. Generäle im Kaiserreich priesen den fronttauglich gestählten Kickerleib: „Fußball ist für die militärische Vorbereitung unserer Jugend unerläßlich, um sinnlich rüstige Männlichkeit zu entwickeln...“ Neben den Schützengräben wurde gekickt, und die Rekruten „verjüngten sich zusehends, wurden elastisch, lustig...“
Nach 1933 fand der freiwillig gleichgeschaltete DFB „Erfüllung im nationalsozialistischen Geist“. Der kicker rühmte Volk und Vaterland im April 1943: „Leutnant Krause vom VfB Königsberg ist mit schwerer Kopfverletzung in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Mit dem Verbande spielte er schon, ohne Kopfbälle freilich, dafür um so kräftiger mit den Beinen.“ Übrigens: Im KZ Theresienstadt gab es organisierte Meisterschaften zwischen Aufsehern und Häftlingen. Aus dem Dritten Reich haben wir bis heute den Begriff Nationalspieler geerbt, vorher hieß es „Internationaler“. Der DFB ging mächtig und als Monopolist aus der Hitlerzeit hervor; noch 1954 nannte er den Faschismus offiziell „politischer Umbruch“.
Auch nach dem Krieg war Fußball noch ganz anders. Zunächst tingelten Klubs zu „Kalorienspielen“ über Land. Da ging es um halbe Schweine oder einen Sack Kirschen als Prämien. Ein Foto zeigt die Dortmunder Borussen beim Kartoffelschälen als Aufwärmübung. Während der sechswöchigen Show sind in Aachen auch „Leckerbissen der radiophonen Berichterstattung“ angekündigt. Daneben ist das älteste erhaltene Filmmaterial (60 Sekunden Blackburn vs. West Bromwich, 1898!) zu sehen. Und da ist die Intervieweinspielung mit einem Aachener Nachkriegskicker, der davon berichtet, wie er sich amerikanische Mehlsäcke zum ersten Trikot umgeschneidert hat: Aus dem Bezirksliga-Rechtsaußen wurde dann, thematisch nicht fernliegend, erst der Kartoffelhändler und dann der Fußballfunktionär Egidius Braun.
Ab November wird die Ausstellung auf Wanderschaft gehen – vor Ort soll, so das Konzept, ein lokalgeschichtlicher Teil auf Eigeninitiative hinzukommen. So wie in Aachen die Alemannia. Deren Rückkehrwünsche in die erste Liga sind zwar schon fast so alt wie der Balltritt selbst, dafür aber haben sie in ihrer Vereinschronik reichlich kuriose Fußballprosa von 1906 zu bieten: „Entweder kombinierten unsere Innenstürmer zwecklos hin und her, oder es wird gefummelt zur Freude des Publikums resp. der diesbezüglichen kleinen Mädchen...“ Was das bedeutet, wissen weder die Alemannen noch die beiden Fußballforscher so recht zu deuten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen