piwik no script img

Im Wahlkampf-FieberBlüm in Bremen

■ Der Bundesarbeitsminister sprach über „saftige Sozialhilfeempfänger“

Die höfliche Bitte, die CDU-Landesgeschäftsführer Günther Feldhausen ans Publikum richtete, war ein dezenter Hinweis auf das Alter der potentiellen Wähler, die gestern vormittag in die Glocke gekommen waren, um Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) zu sehen. Handyträger möchten ihr Geräte bitte ausstellen, bat Feldhausen. Die Herzschrittmacher würden sonst unter Umständen ausfallen. Die ergrauten Häupter nickten dankbar. Unter sichtbaren Mühen erhoben sie sich von ihren Stühlen, als der Minister den Saal betrat. Das betagte Publikum bescherte Blüm ein Heimspiel. Unter ihm seien die Renten sicher, versicherte der Minister. Ein „Schnüffelstaat“ sei mit dem Blüm nicht zu machen. „Ich frag' nicht, hast Du ein Haus, hast Du zwei Häuser, ich frage, hast Du gearbeitet, dann bekommst Du auch Rente.“ Das Publikum dankte mit artigem Applaus. Derart ermutigt, drosch Blüm auf die junge Generation ein, die zur Redezeit Blüms, mittags um halb zwölf, gerade damit beschäftigt war, die Rentenbeiträge zu erarbeiten. Die Äußerung des „Internet-Yuppies“ Jost Stollmann, der behauptet hatte, das Soziale System sei ein Gefängnis, wären nichts weiter als „Yuppie-Rotzigkeiten“. Daß sich bei den Gewerkschaften kein Protest geregt habe, als Stollmann die Betriebsräte für überflüssig erklärt habe, sei ein „Skandal“. Apropos Skandal. Beim Joggen durch den Park in Bonn mußte der Minister eigenen Angaben zufolge mitansehen, wie alte Männer mit gebeugtem Rückgrat den Müll eines Rockkonzertes wegsammeln mußten. „Da habe ich mich gefragt, gibt es hier in Bonn nicht 200 junge, saftige Sozialhilfeempfänger, die das machen könnten?“ Natürlich läßt es Blüm, der zu Beginn der Veranstaltung freimütig gesteht, daß er Wahlkampf machen will, sich nicht nehmen, vor Rot-Grün zu warnen. „Rot-Grün. Soll das Eure Zukunft sein?“ Die greisen Häupter schütteln sich. Der grüne Prototyp stehe erst um halb zwölf auf, sehe nach, ob seine Sozialhilfe eingegangen sei, fahre schwarz zu Karstadt und klaue höchstens für 99,99 Mark, um seiner gerechten Strafe zu entgehen. Zu guter Letzt entläßt Blüm seine begeisterten Zuhörer mit einer Bitte. „Kümmern Sie sich um Ihre Verwandten. Rot-grüne Verwandte hat jede CDU-Familie. Lassen Sie diese Demokratie nicht zu einer Marketing-Veranstaltung zwischen Colgate und Blendax verkommen.“ Kerstin Schneider

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen