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Bleiche Mutter Deutschland

Die Filmemacherin Helma Sander-Brahms ist gleichzeitig Geschichtenerzählerin und Dokumentarin deutscher Wirklichkeiten. Ihre Filme werden jetzt in chronologischer Reihenfolge im Arsenal gezeigt  ■ Von Gudrun Holz

Es liegt eine Schwere auf diesen Bildern. Optisches Pathos, bedeckt vom anheimelnden Rauhreif deutscher Innerlichkeit. Eva Mattes auf der Suche nach der bleiernen Zeit der Erinnerung. Mattes ein Synonym. Heldin einer Passionsgeschichte im Nazi- und Nachkriegsdeutschland. Zugleich überdeutliches Symbol des Landes, um das es hier geht. Die „Deutschland, bleiche Mutter“, so der Titel von Helma Sanders-Brahms wohl bekanntestem Film, wird gleich im Intro decouvriert als „Mutter, die besudelt dasitzt unter den Völkern“. So läßt uns Hanne Hiobs klagendes Brecht-Rezitativ wissen.

Fast sämtliche 25 Filme von Helma Sanders-Brahms zeigt das Arsenal in der ersten deutschen Retrospektive der Regisseurin. Rückblickend auf die Kritiker- Aufgeregtheiten um „Deutschland, bleiche Mutter“, der in Frankreich und Italien erfolgreich lief und zahlreiche internationale Preise erhielt, in der Bundesrepublik aber floppte, lohnt sich der vergleichende Blick auf die sehr heterogenen Spiel- und Dokumentarfilme aus den Jahren 1970 bis 1977. An sich wird in „Deutschland, bleiche Mutter“ (1980) eine persönliche Geschichte erzählt. Eine unheilvolle Familiensaga, authentisch verbürgt. Von einer Frau namens Lene, freundliche Heldin erst einer Liebesgeschichte, dann einer Mitläufergeschichte, einer Flucht durchs winterliche Endkriegsdeutschland und schließlich eben Mutter und Ehefrau, die im Rollback der fünfziger Jahre an der Entfremdung vom kriegstraumatisierten Ehemann und der Zurückstufung ihrer ohne den Mann in den Kriegszeiten erworbenen Selbständigkeit zugrunde geht.

Eva Mattes, zuerst nicht Wunschkandidatin von Regisseurin Sanders-Brahms – die eigentlich Angelika Winkler für die Rolle haben wollte –, fasziniert auch 18 Jahre nach dem Entstehungsdatum des Films durch ihre präzise Charakterdarstellung, während dem Film die Balance zwischen Einzelschicksal und historischer Genauigkeit bisweilen abgeht. Ein langsamer Erzählfluß bewegt den Film eher widerstrebend vom Fleck, zwingt die Kamera von Jürgen Jürges gelegentlich fast zum Stillstand. Hoch stilisiert werden Interieurs und Befindlichkeiten zu Beginn des Films geschildert, erst als die tragischen Ereignisse kulminieren, wird die Darstellung straffer und damit konfrontativer. In diesem letzten Drittel des Films, einem Psychogramm einer zerstörten Persönlichkeit, ist der Film zugleich am überzeugendsten. Nach Fassbinders „Ehe der Maria Braun“ und Schlöndorfs Grass-Verfilmung „Die Blechtrommel“ wurde hier die deutsche Nazivergangenheit aus weiblicher Opfer-Perspektive belichtet.

Uraufgeführt im Wettbewerb der Berlinale 1980, sorgte der Film in der damaligen Bundesrepublik für empfindliche Reaktionen. Man warf der jungen Regisseurin Verkitschung vor. Insbesondere die Überlänge von zweieinhalb Stunden sorgte für Unmut, zum Kinostart lief der Film dann in zwei verschiedenen Fassungen. Das Schwierige an „Deutschland, bleiche Mutter“ ist, daß er zu vieles mit massiver Symbolik andeutet und versucht, all das noch mit raunenden Grimms-Märchen-Tönen zu verbrämen. Wo es doch um Familienrecherche geht, die in diesem Film Bestand hat, auch ohne den Fingerzeig, die Frauen seien die eigentlichen Opfer gewesen. In diesem Zusammenhang wirkt die Auseinandersetzung mit Fakten wie Deportationen und Pogromen dann beinahe anekdotisch.

Zum Filmemachen sei sie durch eine Begegnung mit Pier Paolo Pasolini gekommen, erzählt Sanders- Brahms. Auf trickreichen Umwegen gelang sie ans Set von „Medea“, wo mit einer imposanten, aber kranken Callas geprobt wurde. Nach Studium und Schauspielschule hatte sie, 1940 in Emden geboren, zunächst als Fernsehansagerin gearbeitet. Ein Foto von 1972 zeigt sie beim WDR bildschirmgerecht zurechtgemacht mit gemeißelter Innenrolle. Zehn Jahre lang arbeitete sie in dieser Funktion und betrieb, wie sie es selber später betitelte, „Gesichtsprostitution“.

Ihr erster Film, eine Dokumentation aus der Arbeitswelt, entstand 1970 und schildert die gleichförmigen Arbeitsabläufe einer Kaufhausangestellten. „Angelika Urban, Verkäuferin, verlobt“, dessen monoton eingesprochene Interviewtöne ihn zu einem trostlosen Kommentar auf die Schädigungen der Warengesellschaft machen, gehört zu einer ganzen Reihe von schwarzweißen Kurzfilmen, die der WDR sendete und die erfolgreich auf den Oberhausener Kurzfilmtagen liefen. Sachlich im Ton ist auch „Die industrielle Reservearmee“ (1971), ein Film, der zusammen mit der SDS-Betriebsgruppe Köln konzipiert wurde. Ein Montagefilm, der die soziale Situation türkischer und spanischer Arbeiter untersucht, die damals noch „Gastarbeiter“ hießen.

Ein ähnliches Thema liegt „Shirins Hochzeit“, dem ebenfalls noch in schwarzweiß gefilmten Spielfilm von 1976, zugrunde. Die Leidensgeschichte einer jungen türkischen Frau, die nach Deutschland kommt, um einen Mann aus ihrem Dorf zu suchen und statt dessen unterbezahlte Fabrikarbeit und Einsamkeit vorfindet und schließlich Opfer eines Zuhälterscharmützels wird. In diesem Fall war die öffentliche Kontroverse wesentlich bedrohlicher als später die Kritik an „Deutschland, bleiche Mutter“. Von seiten nationalistischer türkischer Gruppierungen gab es Morddrohungen, die „Grauen Wölfe“ inszenierten Demonstrationen gegen den Film.

Einen besonderen Komplex bilden die zwei Filme „Unter dem Pflaster ist der Strand“ (1975) und „Heinrich“) (1977) mit den Schaubühne-Schauspielern Grischa Huber und Heinrich Giskes als zentralem Paar. Während erster Politikverdrossenheit nach 68 und die Beziehungskämpfe der modernen heterosexuellen Paarbeziehung – was ihn zum Kultfilm der italienischen Frauenbewegung machte – abhandelt, ist letzterer eine schwerblütige Kleist-Adaption, die rhapsodisch dessen Leben vom Selbstmord her aufrollt und die Spannungen unter den Akteuren in düstere Endzeitstimmung ummünzt.

Momentan hat die Regisseurin, die immerhin mit einem halben Dutzend ihrer Filme in Cannes war, mehr Projekte in der Schublade als auf der Leinwand. Das nächste Projekt ist ein Theaterstück. Zwei Monologe, die sie für Eva Mattes geschrieben hat. Einer davon ist Ulrike Meinhof gewidmet, die auch auf dem allerersten Filmmaterial auftaucht, das sie in den frühen Sechzigern drehte. Eine Rückkehr zur eigenen Geschichte also. Nicht untypisch für diese Regisseurin.

Vom 1. bis 31. Oktober im Arsenal in der Welserstr. 25

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