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Entrückte Erektionen

■ Im Schauspielhaus hatte Shakespeares Moralreißer „Maß für Maß“ in der bleiernen Inszenierung von Karin Beier Premiere

Wenn die Kirche die Lust auf strenge Diät setzt und der Staat seine Exekutive gegen alle Privatheit anspitzt, dann treffen sich Psalme und Paragraphen im Katechismus des Terrors. Shakespeare entspannte diese unselige Verschwisterung sakraler und amtlicher Moraldelikte ebenso facettenreich wie sperrig in seiner Tragikomödie Maß für Maß. Karin Beier hat daraus ein bleiernes Potpourri gemacht, das auf die Losung „Schluß mit lustig“ ein „Achtung, jetzt kommt die Qual!“ folgen läßt.

Die Geschichte vom Herzog Vincentio, der Prostitution und vorehelichen Liebesakt unter Strafe stellt, die unleidige Ausführung jedoch dem Statthalter Angelo überläßt, um sich selbst als Mönch unters Volk zu mischen, gerinnt hier zur Plackerei. Allzu früh geht Beier die Puste aus, um aus bemühtem St.-Georg-Flair und Zuhältern mit Al-Bundy-Manieren aktuelle Funken zu schlagen. Und die schlichten Highlights sind die wurstigen Polizisten: Zwergcowboys, die sich bei Verhaftungen bollestolz in die Hühnerbrust werfen und widerrechtlich Schwangere mit „Das ist ein Faktum, ein Fiktum, ein fiktives Faktotum“ bewerfen. Doch wenn sie im Handbuch die Mechanik legitimen Mords nachschlagen und Hinrichtungstips vortragen, sich dazu über unappetitlichen Rotz und finale Erektion ereifern, zählt das zu den seltenen Momenten, in denen sich der Januskopf der öffentlichen Ordnung in allen Fratzen zeigt.

Wer nicht zur popelnden Zuhälter-Familie mit dem klangvollen Namen „Arsch“ zählt, windet sich in stattlichen Krisen und feiert seine zutiefst empfundene Seelenpein möglichst nicht allzuweit von der Rampe. Doch schnell setzt das Askese-Lied der Novizin Isabella (Anne-Marie Bubke), die ihren unkeuschen Bruder vor dem Galgen retten will, Fett an, wird die Nonne samt innerster Werteschlacht zur monströsen Sprechblase. Trotz sich wundlaufender Exorzismen bleibt Maß für Maß kühl, entrückt, belanglos. Und wenn das juristische Opfervieh nicht gerade auf dem heißen Stuhl der Verhöre sitzt, schreitet es vielleicht gerade von Bedeutsamkeit gebückt von links nach rechts. Bis zum Schluß findet die Regisseurin keine Methode, den anarchischen Witz und die hehre Moralphilosophie des Shakespeare-Stücks stimmig zu verzahnen. Und so haben Michael Wittenborn als vermeintlich salomonischer Rechtsregent Vincentio und Michael Weber als Polizisten-Hanswurst alle Hände voll zu tun, immer wieder dem Wahnwitz unter die Kutte, der Grausamkeit unter den Talar zu schauen.

Birgit Glombitza

heute, 19.30; Mo, 12., 19.30; Fr, 16., 20 Uhr (mit Publikumsdiskussion); Sa, 17., 20 Uhr; Di, 27. Oktober, 19.30

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