: Der Umzugslouis der Nation
Vor zwanzig Jahren trug ein linkes Möbelpacker-Kollektiv seinen Namen, und er schleppte noch selbst. Heute ist Klaus Zapf der größte Umzugsunternehmer der Republik und will auch für die Regierung die Kisten packen ■ Aus Berlin Vera Gaserow
„Wo wohnste?“ Sein Duzen ist kategorisch. „Hausnummer? Stockwerk? Name am Klingelschild? Wir holen dich ab, kannst mit mir spazierenfahren.“
Spazierenfahren mit ihm geht so: Man sitzt vorn in anthrazitfarbenen S-Klasse-Polstern, daneben am Steuer „darf ich vorstellen, Jens“, und hinten braucht ein Mitvierziger mit runder APO-Nickelbrille die Rückbank des Daimlers für sich – für seinen imposanten Bauch, seine handgekritzelten Kundenlaufzettel und ein Chaos aus Morgenzeitungen, Badehandtüchern und einem Rettungsring.
„Spazierenfahren“ mit ihm ist eigentlich Arbeit, und Arbeit ist eine Rundfahrt durch die Wanderungsbewegungen der Hauptstadt. „Also da vorn, da wohnte die Birgit Breuel.“ Die hat er auch schon. „Und hier oben hab' ich mal 'nen Staatssekretär, ging zurück nach Bonn.“ Den Journalisten-Kollegen, „den müßteste eigentlich auch kennen. Hat ja so viel Scherereien mit seinem Sohn, weil der kommt genau nach ihm.“ Also, den hat er auch gerade. „Umgezogen wird nämlich immer, das ist wie Essen und Trinken.“
Der Mann auf dem Rücksitz ißt gern, trinkt noch lieber, und am liebsten zieht er andere Menschen um. Von diesen drei Vorlieben sieht man ihm nur die letzte nicht an. Klaus Emil Heinrich Zapf, 45 Jahre alt, eigene Berufsbezeichnung „Umzugslouis“, ist alles andere als ein wendiger Mann. Eher ein bekennender Anhänger der eigenen Körpermasse. „Anfangs“, sagt Zapf gern über Zapf, „war ich ja nur der Dickste in der Branche, jetzt bin ich auch der Größte.“
Er hat es geschafft. Sechshundert, vielleicht sind es auch achthundert Mitarbeiter beschäftigt sein Unternehmen bundesweit, Filialen verstreut über die Republik, gelb-blaue LKWs als Erkennungszeichen. Zapf – zumindest in Berlin ist der Name für Umzüge so etwas ähnliches geworden wie Tempo für Taschentücher.
Wenn im nächsten Jahr der Bundestag und der neue Kanzler nach Berlin ziehen, wird Zapf dick mit im Geschäft sein. Regierungsakten und Ministeriumsschreibtische haben dann gute Chancen, mit den Lastwagen an die Spree zu fahren, die einst den linken Adelstitel trugen: „West-Berlins bestes Umzugskollektiv“. Zapf, eine linke Karriere, ohne Marsch durch die Institutionen.
„Also da vorn fährste am besten rechts rein. Stopp, hier ist es.“ Zapf, am besten sagt man einfach Zapf, schält sich aus dem Daimler und arbeitet sich mit dem schleppenden Schritt der Übergewichtigen auf den nächsten Hauseingang zu. Samstag vormittag, auch Umzüge wollen verkauft sein, dreizehn Kunden stehen auf der Liste, der Chef persönlich kommt zum Kostenvoranschlag, das imponiert den Kunden.
Zweiter Stock, vierter Stock, ohne dieses Treppensteigen wäre er wahrscheinlich „schon längst in der Kiste“. Ein Blitzrundgang durch die Wohnung, „machen wir, wuschiwuschi, kein Problem, danke, Wiedersehen“, schon sitzt er wieder auf der Rückbank seines Daimler und diktiert ins Aufnahmegerät: „Vorderhaus, 3. Etage, 3- Mann-Kolonne, 20 Bücherkisten, 3 Kleiderkisten, 20 normale, 15 Kilo Seidenpapier ..., 60 Folien, Klebeband, macht 1.600 plus Mehrwertsteuer, Rechnung an ... sowieso tralala.“
„Man kriegt ein Gefühl für Menge und Wege und das Wesen von einem scheiß Möbel“, räsonniert der „Umzugslouis“, und: „Ich schlepp dir noch heute jedes Klavier vier Stockwerke hoch.“ Klar weiß Zapf, daß man ihm das nicht abnimmt, „ist aber so. Alles ein mentales Problem. Verstehste? Möbelschleppen ist Zen für Arme.“ Na gut, seien wir ehrlich, „es ist eine Paria-Tätigkeit.“
Fremder Leute Krempel von A nach B zu bringen, für wenig Lohn aber viele Treppen, hat nur für die wenigsten etwas Meditatives. „Es ist schwer, sich mit einer solchen Geringstdienstleistung zu identifizieren, aber man kann den Leuten ja nicht jeden Monat eine Mark mehr geben, da geht man ja pleite.“ Zapf hat jetzt eine Skulptur für seine Kreuzberger Firmenzentrale anfertigen lassen, Denkmal für den unbekannten Möbelpacker oder so ähnlich. Mentale Aufrüstung. „Man muß den Leuten klarmachen, daß sie den Kunden eine neue Zukunft bringen.“
Die Kundschaft ist notorisch sensibel. Umzug ist Ausnahmezustand. „Die Leute sind daueraufgeregt. Die allermeisten haben gerade ihre Mitte verloren.“ Zapf macht gern eine Philosophie aus seinem rauhbeinigen Gewerbe. Vielleicht braucht man das, um Frieden zu schließen mit einem Lebensweg, auf dem Umzugskisten nicht gerade vorprogrammiert waren.
Halbherziges Studium, durchzechte Nächte, durchkiffte Polit- Diskussionen – irgendwann hatten die 70er Jahre den Polizistensohn Zapf aus dem Nordbadischen in die Endmoräne der Berliner APO- Zeit gespült. Wohnungsentrümpelungen sorgten für den Lebensunterhalt. Zapfs drei Vornamen bürgten für vermeintliche Firmentradition, seine Kneipier-Physiognomie weckte Vertrauen. Der Student Klaus Emil Heinrich Zapf wurde zum gutbürgerlichen Etikett eines alternativen Umzugskollektivs aus Dauerstudenten, angehenden Ärzten, Paradiesvögeln und Hausbesetzern, die selbst dem Möbelschleppen noch ein politisches Ansinnen abringen konnten. „Zapf-Umzüge – im Besitz der Belegschaft“ stand auf den gelben Umzugswagen, demonstrationserprobt und vollgepackt mit allen hehren Ansprüchen dieser Welt.
Was dann geschah, ist schnell erzählt: die 80er Jahre, die szeneübliche Kollektivmetamorphose mit Spezialisierung, Arbeitsteilung, verschämten Hierarchien, Zoff um Geld und Lohn und die richtige politische Linie, Machtkämpfe, Streiks, gerichtliche Auseinandersetzung, Spaltung. Aus „West-Berlins bestem Umzugskollektiv“ blieb immer einer übrig, erst als Inhaber eines Betriebs „mit Belegschaftsbeteiligung“ dann als alleiniger Chef: Zapf, der Pragmatiker unter den politischen Idealisten und Ideologen.
Einzig das Prinzip der alternativen Selbstausbeutung habe er aus der Kollektivzeit herübergerettet, warfen ihm viele ehemalige Weggefährten vor. Nur daß dabei aus alternativ lukrativ geworden sei. Beschäftigungsverhältnisse bei Zapf blieben locker organisiert nach studentischem Muster – auch dann, als viele Mitarbeiter nur noch unfreiwillig mit Gelegenheitsjobs vorliebnahmen.
Heute ist „West-Berlins bestes Umzugskollektiv“ ein professionelles Unternehmen mit einem Chef, der stolz ist, daß „alles seine Ordnung“ hat, „reguläre Arbeitsverhältnisse mit Sozialversicherung und tralala“. Das ist nicht selbstverständlich in einer Branche mit Hang zu Billiglöhnen und Schwarzarbeit. „Diese Kollektivgeschichte damals“, räsonniert Zapf zwischen zwei Besichtigungsterminen, „das war nicht alles nur idealistischer Natur. Ich konnte damit auch mein fehlendes Selbstbewußtsein kompensieren. Denn eigentlich bin ich führungsschwach.“
Führungsschwach – das sagt einer, vor dessen phonstarken Ausbrüchen mancher Mitarbeiter flieht, der aber gleichzeitig als fair gilt. Zapfs unverblümtes Credo heute: „Ich sag den Leuten immer: einmal, zweimal, dreimal – raus!“
Was von den Idealen geblieben ist? Hin und wieder eine gute soziale Tat, das muß sein, und „daß ich meine Leute nicht wie Tagelöhner behandle. Und wenn ein Mitarbeiter sagt, du, Zapf, da haut was nicht hin, dann nehm ich mir das zu Herzen“ – so wie jeder halbwegs kluge Unternehmer. „Aber das Politische, das hat sich im Lauf der Jahre eigentlich verloren.“ Energieverschwendung.
Zapfs letzte politische Aktivität war der Austritt aus der Berliner Alternativen Liste. Für die hatte er einst Wahlhilfe geleistet mit seinem Fuhrpark. Aus dem alternativen Kollektivisten ist kein glatter Managertyp geworden, eher ein Firmenpatron mit der speziellen Mischung aus Liebenswürdigkeit und launigem Despotismus. Er genießt die Macht. Macht bedeutet, „die Klappe aufreißen können“, oder auch die Freiheit, einen Kunden zu fragen: „Haste Geld? Nee? O.k. Sagen wir: 'nen Tausender für den Umzug.“ Zapf, das ist der Duzkumpel auf dem viel zu kleinen Drehstuhl im verkramten Großraumbüro, und das ist der ruppige Boß, der großzügig sein kann und nachtragend wie Elefant. Einer, der sich wie ein Junge freut über eine gelungene Werbeidee und sich mit 45 Jahren Gedanken über seinen Nachfolger macht wie ein alternder Patriarch. Einer, der „wir“ sagt, wenn er die Linke meint, und in dessen Betrieb man nicht gern erzählt, daß man in der Gewerkschaft ist.
Zapf hat Geld gemacht. Reichlich. Na und? Auf dem Firmengelände am Kreuzberger Spreeufer steht ein beachtlicher Fuhrpark. 20 Millionen Umsatz im Jahr, Tendenz seit dem großen Umzugs- Treck nach Berlin imposant steigend. „Eineinhalb Mios Gewinn“ wird das Unternehmen dieses Jahr schreiben, Zapfs Leute verdienen im Schnitt 15 Mark brutto.
Geld ist ihm egal, das sagt sich um so leichter, je mehr man davon hat. Wieviel er hat? „Weeß ick nich“, Koketterie eines Gutbetuchten. Was er mit all „der Knatter“ macht? „In die Firma stecken, was sonst“. Eigentlich egal, ob das stimmt. Jedenfalls könnte man es glauben. Zapf trägt den blauen Blazer eines Firmenchefs – aber das Oberhemd darunter ist dreifach gestopft und die ausgebeulte Jeans an den Knien zigmal geflickt. Zapf auf einem Golfplatz, unvorstellbar. Zapf im Daimler mit Chauffeur, ganz standesgemäß, nur könnte er gar nicht anders. Der Umzugslouis der Nation hat nie einen Führerschein besessen. Das hängt mit seiner „großen Leidenschaft“ zusammen, „dem Bier“. Das Bier liebt er so, daß er darin baden könnte.
Er arbeitet achtzig, hundert Stunden die Woche, fürs Selbstwertgefühl und „weil ich doch nicht sagen kann: Jungs, nun arbeitet mal schön, ich geh' Coupons schneiden.“ Urlaub? Langweilig, wahrscheinlich würde er sich nur mit seiner „Ollen“ streiten. Die darf so oft in Urlaub fahren, wie sie will, und sein Geld ausgeben. Er selbst fällt lieber in seine Stammkneipe ein, dem „Diener“, zu Hause gleich um die Ecke, läßt 15, 20 Bier in den mächtigen Bauch laufen, bis er nicht mal mehr sein Handy bedienen kann. Das ist für ihn „der schärfste Zustand der Glückseligkeit, da kann ich regredieren wie ein Kind, alle Spannung fällt ab, du hast keine Verantwortung mehr. Herrlich.“
Wenn Zapf auf seinem Firmenhof zwischen Umzugscontainern steht, dann erwischt ihn manchmal die Ambivalenz seiner eigenen Geschichte. „Hier, das mußte schreiben. Diese jungen Leute heute. Vor ein paar Jahren hatten sie lauter Metall in der Nase: ,Watt willste, Alter?‘ Heute sind sie ungeheuer höflich. Die beschweren sich nie.“ Zapf, dem Unternehmer, müßte das recht sein. Ist es auch, „aber wie die wirtschaftliche Situation die Leute zurechthobelt, ist doch erschreckend“.
Und „der ganze Regierungsumzug, dieses Hin- und Hergeziehe. Kostet doch nur deine Steuergelder, der Quatsch.“ Zapf hat schon heute nicht schlecht verdient an dem „Quatsch“.
Immerhin: „Is' ja nun unsere Regierung, die da jetzt kommt.“ Vor zwei Wochen hat Zapf dem Finanzministerium ein Angebot für den Umzug gemacht.
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