Adriano Sofri kann neue Hoffnung schöpfen

■ Italienisches Gericht läßt Revision im Verfahren gegen Ex-Führer von Lotta continua zu

Rom (taz) – Das Kassationsgericht in Rom hat jetzt die Ablehnung des Wiederaufnahmeverfahrens im Mordfall Calabresi aufgehoben: Nach Abschluß von bisher nicht weniger als sieben Instanzen seit 1988 waren für das Attentat auf den Kriminalkommissar 1972 einige Leitfiguren der linksradikalen Studentenorganisation Lotta continua verantwortlich, darunter der angesehene 52jährige Journalist Adriano Sofri. Die jetzige Entscheidung des mit dem deutschen Bundesgerichtshof vergleichbaren Kassationsgerichts war nicht ganz unerwartet.

Nachdem das bisherige Urteil – 22 Jahre Gefängnis – vor einem dreiviertel Jahr rechtskräftig wurde, hatten die Anwälte Sofris und seiner beiden ebenfalls zu 22 Jahren verurteilten Mitangeklagten, Pietrostefani und Bompressi, neue Beweise vorlegt. Darunter waren auch die Aussagen von zwei Augenzeugen, die die bisherige Darstellung des Hauptbelastungszeugen Marino, der sich selbst der Tat bezichtigt, in Zweifel ziehen könnten. So erinnert sich nun ein Autofahrer daran, den wirklichen Täter direkt von vorne gesehen zu haben. Als er dies zu Protokoll geben wollte, habe aber die Polizei seinerzeit kein Interesse gezeigt. Ein Stadtpolizist glaubt sich überdies zu erinnern, einen der angeblich am Mord Beteiligten zur Tatzeit in einer weit vom Tatort entfernten Bar gesehen zu haben.

Obwohl sich Hunderte bekannter Politiker und Intellektueller in ganz Europa für einen neuen Prozeß einsetzten, hatte das Mailänder Revisionsgericht den Wiederaufnahmeantrag mit der Begründung abgewiesen, die Zeugenaussagen seien bei der Urteilsfindung in der letzten Instanz bereits bekannt gewesen und berücksichtigt worden.

Der Kassationsgerichtshof hat jetzt angeordnet, daß sich das Mailänder Gericht – dort allerdings eine andere Kammer – erneut zum Antrag äußern muß. Kommt auch diese zu einem negativen Ergebnis, wäre ein neuer Prozeß endgültig abgewendet. Wird hingegen dem Antrag stattgegeben, würde ein völlig neuer Rechtszug entstehen, der wiederum bis zu sieben Verfahren zeitigen könnte – es sei denn, eine der streitenden Parteien würde nachgeben. Werner Raith