: Ein Konkurrenzangebot zu rechten Schlägereien
Eberswalde im Norden Berlins. 1990 ermordete hier ein Trupp rechtsradikaler Jugendlicher den Angolaner Antonio Amadeu. Nun soll ein Boxprojekt mit einem nigerianischen Trainer die Jugendlichen vom rechten Weg abbringen – die aber zeigen sich erst einmal unwillig ■ Von Barbara Bollwahn
Obi Oji steht kurz vor der Erfüllung eines Traums. Schon als Kind malte sich der Sohn eines Boxers aus, wie es wäre, eigenen Boxernachwuchs ranzuziehen. Jetzt ist der Traum des Nigerianers zum Greifen nahe. Einen Namen für die Realität hat er schon: „Boxsport-Hobby-Promotion Organisation“.
Doch der Fünfunddreißigjährige will nicht nur boxen. Er will in der 48.000 Einwohner zählenden Stadt nördlich von Berlin, die eine Arbeitslosenquote von zwanzig Prozent verzeichnet, einen „gesellschaftlichen Auftrag“ erfüllen. Sein Auftrag sei, den Eberswalder Jugendlichen, die oft weder soziale noch berufliche Perspektiven für sich sehen, beizubringen, zu kommunizieren, sich anzupassen und zu integrieren. Als „gesellschaftliche Bühne“ soll der Boxring dienen. Ein Boxprojekt als Halt in der Orientierungslosigkeit. „Sie sollen später stolz darauf sein“, sagt er.
Das Projekt dürfte einmalig in Deutschland sein. Wo hat man schon gesehen, daß rechte Jugendliche, an denen es in Eberswalde und Umgebung nicht mangelt, ganz offiziell einem Schwarzen, einem anerkannten Asylbewerber, eine draufgeben dürfen?
Angst vor rechten Fäusten hat Obi Oji nicht. Der Nigerianer hat zehn Jahre lang in Nigeria und später auch in Berlin und Westdeutschland geboxt. Ein Kampf im Ring sei etwas anderes als ein Angriff auf der Straße, sagt der 75 Kilo leichte Mann. „Da kann sich das Opfer nicht verteidigen.“ Im Ring dagegen gehe es um „Fairneß“. Da müßten die, die austeilen, auch einstecken.
Obi Oji steht nicht allein mit seiner Begeisterung für das Boxprojekt. Auch Kay Jahns von der Regionalen Ausländerstelle für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule (RAA), die das Boxprojekt trägt, ist überzeugt von dem Erfolg. „Eberswalde ist eine Arbeiterstadt“, sagt der dreißigjährige ehemalige Hausbesetzer. „Die Probleme hier wurden schon immer körperlich gelöst.“ Auch heute sei Eberswalde eine Stadt mit einem „extremen Gewaltpotential“.
Anfang August hatte eine vierköpfige Jugendbande einen vierzehnjährigen Jungen brutal gefoltert. Die vier Tatverdächtigen, eine achtzehnjährige, ein vierundzwanzigjähriger und zwei Kinder im Alter von elf und dreizehn Jahren aus Eberswalde, hatten den Jungen, den sie zufällig getroffen hatten, ausgezogen, an einen Baum gefesselt. Sie schlugen und ohrfeigten ihn und drückten glühende Zigaretten auf seinem Körper aus. Der Junge kam mit Blutergüssen und offenen Wunden ins Krankenhaus. Jüngstes Beispiel für den wachsenden Rechtsextremismus in der Stadt: 25 Holzkreuze, die das „Bündnis für Vernunft“ – ein Zusammenschluß aus etwa dreißig Gruppen und Vereinen – kürzlich vor der Kirche in Eberswalde als Warnung vor rechtsextremen Parteien aufgestellt hatte, wurden innerhalb nur weniger Tage gleich zweimal mutwillig zerstört.
Um an gewaltbereite Jugendliche, Punks, Skinheads oder rechtsorientierte Jugendliche ranzukommen, muß man ihre Sprache sprechen, sagt Jahns. Und attraktive Angebote machen. Dazu paßt das Boxen. Als „nonverbale Kommunikation, die die Jugendlichen in einer immer sprachloseren Umgebung annehmen“, wie er es nennt. Im Unterschied zu anderen Projekten, bei denen beispielsweise Afrikaner an Schulen Aufklärungsarbeit in Sachen fremde Kultur machen, sollen die Jugendlichen beim Boxprojekt selbst agieren. Körperlich agieren.
Boxsport als „Pop-art“ mit pädagogischem Auftrag. In der Projektbeschreibung heißt das so: „Die jungen Menschen spielen ein bildhaftes Gesellschaftsspiel (keinen Kampf) auf einer gesellschaftlichen Bühne.“ Kay Jahns spricht von einer „frohen Botschaft“. Die lautet: körperliche Kommunikation, die nicht auf Totschlag hinausläuft.
Anders als im November 1990. Damals überfielen fünfzig Neonazis, bewaffnet mit Messern und Gaspistolen, den Angolaner Antonio Amadeu und sieben andere Afrikaner in Eberswalde. Antonio Amadeu starb wenige Tage später an den Folgen seiner Verletzungen. Der Mann hatte nicht einmal mehr sein Bewußtsein wiedererlangt. Drei Jugendliche zwischen siebzehn und einundzwanzig Jahren wurden wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu je vier Jahren Jugendstrafe verurteilt. Antonio Amdadeu war der erste Ausländer, der in den neuen Bundesländern umgebracht wurde.
Das Potential rechtsorientierter Jugendlicher in Eberswalde ist groß. Kay Jahns spricht von einem „radikalen Kern von fünfzig bis achtzig Jugendlichen“, die in Kameradschaften organisiert seien. Doch ihm geht es nicht um die „organisierten Faschos“. Es sind die Mitläufer und Jugendlichen in der „Orientierungsphase“, die angesprochen werden sollen. Ihnen soll mit dem Boxen ein attraktives Angebot gemacht werden. Ein Konkurrenzangebot zu rechten Schlägereien. „Wir haben eine unheimliche Verantwortung“, sagt Jahns, „wir entscheiden über den Lebensweg der Jugendlichen.“ Und dieser soll geprägt sein von „Fairneß“.
Der Landessportbund hat bereits 15.000 Mark für das Projekt bereitgestellt. Ein Profiboxausrüster aus Westdeutschland will den TeilnehmerInnen die Ausrüstung spendieren. Auch eine Boxhalle gibt es bereits. Doch bisher ist die Finanzierung der 1.000 Mark Miete und Betriebskosten pro Monat lediglich für die ersten drei Monate gesichert. Die Organisatoren sind derzeit fleißig auf Sponsorensuche. Langfristig soll sich das Projekt über Beitragszahlungen, einen Boxshop und ein Restaurant selber tragen.
Um das zu erreichen, haben die Initiatoren gar den Bürgermeister von Eberswalde dazu gebracht, einen Brief an den amerikanischen Boxpromoter Don King zu schicken, bei dem unter anderem Mike Tyson unter Vertrag stand. Der berüchtigte Promoter mit den nach oben fliehenden weißen Haaren soll das nötige Know-how vermitteln. Außerdem ist ein Showkampf mit Henry Maske geplant. Eberswalde will beweisen: „Hier kann man wählen, was man sein will. Es muß nicht rechts sein“, sagt Kay Jahns.
Doch viele Jugendliche in Eberswalde haben ihren Kurs längst festgelegt. Ein Sechzehnjähriger, der mit Glatze und Totenkopfgürtelschnalle auf dem Fahrrad spazierenfährt, hält nichts von dem Boxprojekt. „Das interessiert mich nicht“, sagt er. Nach seinen Hobbies gefragt, antwortet er: „Radfahren und Schlägereien.“ Fast überflüssig zu sagen, daß er Ausländer meint. „Die brauchen das.“ Weil es in Eberswalde nur 25 Afrikaner gibt, fährt er mit seinen Kumpels manchmal nach Berlin oder Jüterbog, um fündig zu werden.
Die Jugendlichen in Eberswalde haben die Stadt unter sich aufgeteilt. Im Zentrum der Platz mit dem Pavillon-Café, wo sich die „ganz normalen Schüler“ treffen. Die Skater und Kiffer haben ihr eigenes Terrain, ebenso die Rechten. Das ist das „Keksghetto“, das eigentlich Leibnitz-Viertel heißt, oder der Park im Zentrum.
Am frühen Nachmittag haben es sich sechs von ihnen mit einem Rucksack voller Bierbüchsen auf einer Bank gemütlich gemacht. Rechts sein heißt für einen von ihnen, „dagegen zu sein“. Gegen Schwarzfahren etwa. Oder gegen Ausländer. Stolz erzählt der sechzehnjährige, der mit seiner Nickelbrille und den nicht ganz so kurzen Haaren nicht so recht zu seinen Kumpels mit den geschorenen Schädeln und tätowierten Totenköpfen auf den Unterarmen paßt, daß er kürzlich ein Flugblatt der NPD in seinem Briefkasten gefunden hat.
Von dem Boxprojekt habe er noch nichts gehört. Doch Moses, den Angolaner, der im Auftrag der Regionalen Ausländerstelle an Brandenburger Schulen afrikanische Kultur vorstellt, den kenne er. „Dafür habe ich keine Sympathie“, sagt er. Dann verklärt sich sein Gesichtsausdruck, und treu erzählt er: „Aber das Trommeln hat Spaß gemacht. Wir hatten sogar einen Auftritt auf der Freilichtbühne.“ Mit der gleichen kindlichen Begeisterung wird er DVU wählen, wenn er achtzehn ist.
Seine Kumpels können selbst mit diesem Anflug von Offenheit für fremde Kulturen nichts anfangen. „Ich würde meine Kraft lieber gegen Zecken verschwenden“, sagt Sven entschieden. „Klar würde ich zu dem Boxprojekt gehen“, sagt Marco, „aber nur, wenn ich meine Springerstiefel mit den Stahlkappen anhabe.“ Die anderen grölen.
Woher ihr Haß auf Ausländer kommt? Da werden Geschichten von Russen in der DDR erzählt, die Fahrräder geklaut haben, und von Punkern, „die viel mehr bekommen als wir“. Marco regt sich auf, daß deutsche Kinder heutzutage „Jeremy oder Mola“ heißen. „Ich würde lieber Hermann heißen“, sagt er. Doch weil Marco aus dem Italienischen käme und „weil die weißhäutig sind“, könne er mit seinem Namen leben. Wenn Ausländer kriminell würden, „kommen sie nach zwei Tagen gleich wieder aus dem Knast raus“, sagt Denny, der wie auch Marco zwei Jahre wegen „politischer Körperverletzung“ gesessen hat. „Außerdem kriegen die Ausländer auf dem Sozialamt mehr als wir“, weiß Sven.
Ob bei der Wohnungs- oder der Arbeitsvergabe, stets würden sie benachteiligt werden. Sie können nicht verstehen, warum ein Vermieter lieber eine ausländische Familie statt tätowierte vorbestrafte Glatzen als Mieter nimmt. Sie, die anständigen Deutschen, fühlen sich zu Unrecht zurückgestellt.
Sie betonen, „nur rechts orientiert“ zu sein. Hitler sei „ein Schwein“ gewesen, sagt Denny zur Untermauerung. „Wenn wir ein sauberes Deutschland wollen“, sagt Marco, „müssen wir zusammenhalten.“ Zustimmendes Nicken. Ausländer, die seit zwanzig Jahren in Deutschland leben, könne man nicht rausschmeißen. Da kommt nur noch ein Grummeln. Marco will kürzertreten. Der Einundzwanzigjährige wird demnächst Vater. „Inzwischen habe ich Angst, mich zu hauen.“
Steffi hat schon ein Kind. Wegen des achtmonatigen Mark kann sie nicht so oft in den Park kommen, wie sie möchte. Auch sie ist gegen Ausländer. Natürlich. „Weil ich mal sexuell von einem belästigt wurde“, so ihre Begründung. Und ihre Mutter hatte einen türkischen Freund, der sie verprügelt habe. Ist ein Ausländer schlecht, sind es alle. So einfach ist das.
Sie schaut lächelnd zu, wie ihre Kumpels ihren kleinen Sohn als „Jungsturm“ hochleben lassen. „Wie macht der Führer, wie macht der Führer?“ fragt Marco unter dem Gejohle seiner Kumpels und stellt gleich darauf klar: „Das ist doch nur Quatsch.“ Nein, rechtsradikal seien sie nicht. Ganz bestimmt nicht.
Marco und seine Freunde – das ist die Klientel, mit der der Nigerianer Obi Oji seinen gesellschaftlichen Auftrag erfüllen will und seinen Kindheitstraum vom eigenen Boxernachwuchs. Ein Nachwuchs, der eher an einen Alptraum denken läßt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen