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■ SchlaglochBerliner Träume von rot-grünen Gärten Von Mathias Greffrath

„Das Lebensgefühl der Berliner Republik wird nicht schwerer, es wird leichter.“ (Bernd Ulrich)

Tönt gut, aber was kann es heißen? Berliner Republik – der Sound klingt ein wenig nach Plastikerz, nach behaupteter Größe, nach dem entschlossenen Stilisierungswillen von Outfit-Beratern. Eine semantische Wundertüte, mit vielen Obertönen. Sie behaupten: Aufbruch. Sie spielen mit der – erinnerten – Vitalität der zwanziger Jahre, erinnern von fern an Preußen und den Wilhelminismus, weisen auf die Untaten der Nazis, strudeln wie die Wirbel der neuen Völkerwanderung, glänzen wie Investorengold. Aber der Slogan ist prägnant und wird wohl deshalb bleiben, und bis auf weiteres darf sich jeder seine Berliner Republik träumen; dürfen fromme Grüne vom Ende der Utopie lispeln, Ökolibertäre vom Ende des sozialdemokratischen Gleichheitsterrors murmeln und alte 68er den Gendarmenmarkt den „schönsten Platz Europas“ nennen.

Hier ist noch ein, hier ist mein Traum von der Berliner Republik. Es ist der kleine Traum von einem unscheinbaren architektonischen Neuanfang am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, nachdem von Berlin zwei Weltkriege ausgingen, nachdem durch Berlin die Frontlinie des Weltbürgerkrieges lief, Berlin die Hauptstadt einer sozialmarktwirtschaftlichen Republik mit europäischem Integrationswillen und einer halbwegs zivilen Gesellschaft wurde, an dessen Ende die Investorenhorden und ihre postmodernen Gehilfen historische Gipsfassaden über der Stadt abgeworfen haben. Es ist der kleine Traum von einem Volk, das eine Vergangenheit hinter sich hat und sie deshalb nicht vergessen muß, das keine Gefühle mehr beweisen muß und deshalb allem Monumentalen abhold ist, das wieder in die Gegenwart will und deshalb keine Nostalgie braucht, das in utopieresistentem, aber freundlichem Mittelmaß seine Identität gefunden hat und doch gelegentlich denkt: Irgend etwas fehlt.

In diesem republikanischen Traum also betrete ich den Berliner Hochsymbolbereich und sehe: Das Brachland mit den aufgeschnittenen Fundamenten, der Prinz-Albrecht-Block, wo in Nr. 8 die Karteikästen für die Rasterfahndung standen, in Nr. 9 Himmler verwaltete und wo Eichmann sein Handwerk lernte – es wächst zu, wird wieder Ödland, wie schon einmal in den geschichtsvergessenen Frühsechzigern. Die Topographie des Terrors wird wieder der gnädigen Natur überlassen, aber diesmal nicht aus Gleichgültigkeit, schlechtem Gewissen und Angst vorm Mahnmal, sondern als Schlußpunkt einer Debatte, die niemand beenden wollte und deren Sinn darin bestand, die Wunde offen zu halten. Und nun kann sie sich schließen, damit wir uns endlich erinnern können.

Aber wenn aufschießende Fragen und beiläufiges Erschrecken die schärfste Aufmerksamkeit nach sich ziehen, wenn Innehalten den Raum für Erinnern schafft, dann konnte man diesem Unort nichts Besseres tun als dieses: gar nichts. Kein Stein, kein Museum. Nur Zeit. Und in hundert Jahren wird dort, inmitten von Hochhäusern, ein Urwald liegen, verwachsen, verkrautet, undurchquerbar, finster, von seltenen Vögeln und Kriechtieren belebt. Ein rätselhafter Fremdkörper in einer fertigen Stadt. Und die Kinder werden fragen: Was war denn das? Wer wohnte hier? Was ist passiert?

Achthundert Meter weiter, und weiter im Traum. Der Bauzaun um die schandbaren vier Hektar, wo Hitler residierte, wo monumentalistischer Gedenkwille erst kürzlich noch gigantische Grabplatten und ägyptisch-kolossale Totenhaine installieren wollte, weil wir uns auch in der bußfertigen Trauer von niemandem übertreffen lassen, er ist gefallen. Und dort ist Wirklichkeit geworden, was in dem schönsten deutschen Roman der letzten Jahre schon vorgeträumt wurde: „Ein Garten im Norden“ (Ullstein, 1998). Michael Kleebergs Held darf in diesem Roman die deutsche Geschichte dieses Jahrhunderts umschreiben, und er erfindet einen libertären Bankier, der befreundet war mit einem universalistisch-pazifistischen, luzide schreibenden Philosophen namens Heidegger. Ein Bankier, weltoffen und spekulationsgenial, der von seinen Profiten einen eleganten kleinen Park bauen ließ, mit einem französischen, einem englischen, einem japanischen, einem Schwarzwälder und einem Gemüsegarten. Und daneben eine Villa, in der die aufgeklärtesten Politiker und Künstler der zwanziger Jahre sich begegnen, den Völkerbund schmieden und die Weltrepublik vordenken sollten, und ein Institut, in dem junge Stipendiaten aus aller Herren Länder sich als Kern einer künftigen, globalen, aufgeklärten, demütigen Elite begreifen und auszubilden lernten.

Soweit Michael Kleebergs Dichtertraum von einem Deutschland. Eines Abends muß Kleebergs Buch wohl auf des neuen Kanzlers Nachttisch gelegen haben. So wurde diese nicht im konsensfähigen Gremiengeist, sondern in dichterischem Wurf geborene Utopie Wirklichkeit. Und wurde, in rot-grünem Understatement, zu mehr als zum Symbol: wurde zu einem der operativen Orte einer erneuerten universalistischen deutschen Außenpolitik, die aus der Vergangenheit mehr noch als Erinnerung die Verpflichtung mitnimmt, den Auftrag, neue Welten zu stiften. Ein Anfang wurde in diesem Park gemacht, der so klar, so luftig und so elegant den finstersten Geschichtsboden bedeckte. „Diese Deutschen“, schrieb man in New York, Paris, London, Tokio. „Diese Deutschen, hatten wir geglaubt, sie könnten uns noch überraschen?“

Aber mein Traum ist noch nicht zu Ende, und so schlendern wir beschwingt die Linden hinunter. Und sind nun wirklich überrascht. Kein Schloß im Fluchtpunkt, hinter dessen simulierter Fassade der neue Kulturminister Fernsehstudios, Hotelzimmer und repräsentative Künstler installieren wollte. Kein Schloß, aber auch kein Palast. Kein Fassadenwilhelminismus, keine DDR-Nostalgie, aber auch nicht deren betonierte Widerlegung, sondern: etwas Neues. Zwischen Kronprinzenpalais und Alexanderplatz: ein Zentralpark. Alte Bäume, Rasen zum Spielen, Ecken zum Knutschen, Fontänen, unter denen im Sommer die Kinder stehen, ein paar gothic corners: Marx und Engels umspielt von Ginsterstauden, efeuumrankt zwei, drei Stahlrippen des alten Volkspalastes, ansonsten Stilmischung: ein wenig Coney Island, ein Karussell aus dem Jardin du Luxembourg und überall Speaker's Corners, denn der Wahnsinn nimmt zu, also auch die Kraft zum Ausdruck. Ein quirliger Stadtpark, zum Benutzen, zum Grillen und Kicken unter den Augen der Regierung. Befreites Volk auf öffentlichem Gelände.

Alles Neue braucht Pathos, auch die Leichtigkeit braucht ihres. Und das Neue braucht es allemal, wenn es so sanft, so unauffällig, so zivil daherkommt wie dieser rot-grüne Schritt ins neue Jahrtausend. Für einen Augenblick war ich gerührt vom Pathos dieser drei Gärten. Bewohnte gerührt meinen Tagtraum, versöhnt mit dieser Berliner Republik. Die Stimmung hielt eine Weile an, an einem Montagmorgen, auf dem Weg zum Zeitungsladen.

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