■ Normalzeit: Ein Befreiungsschlag auf eigene Faust
Arno Funke, „beliebtester Verbrecher Deutschlands“ laut Umfrage, schrieb seine Biographie: „Mein Leben als Dagobert“ – teilweise in der dritten Person. Vor Gericht ließ er sich als ein durch Lösungsdämpfe erkrankter und in Not geratener Lackierer verteidigen, der in der Kaufhauserpressung seinen letzten Ausweg sah. Die stets Staat und Kapital verpflichtete, nur gegenüber Randgruppen mutige Bild-Zeitung nannte das ein „jämmerliches Geständnis“. Zuvor hatte gerade die Springerpresse schamlos Millionen an ihm verdient. Obwohl der Richter von Dagoberts technischer Fertigkeit mehr als beeindruckt war, kam der Angeklagte kaum zu Wort. Statt seiner redeten Bomben-Experten und Psychologen. Letztere verglichen Funke sogar mit Beethoven. Im Revisionsprozeß erklärte er kurz selbst, daß und wie der Existenzdruck auf ihn immer mehr zunahm, bis dahin, daß er im KaDeWe eine Zeitbombe zündete – um Gegendruck zu erzeugen, damit der Kaufhauskonzern Geld rausrücke, was dann auch tatsächlich geschah. Als es verbraucht war, versuchte er es erneut – beim Karstadt-Konzern. Diesmal wich die Polizei seinem Druck aus und machte ihn derart mürbe, daß er schließlich ihrem Fahndungsdruck erlag. So geht es vielen Einzeltätern.
Bis dahin war die Kaufhauserpressung eine kollektive Angelegenheit gewesen: Vor 1933 hatten sich Rotfrontkämpferbund und SA abwechselnd damit Bargeld bei den meist jüdischen Besitzern verschafft. Nachdem die Linke ausgeschaltet war, wurden die Erpressungen amtlich abgewickelt. Bis 1938 waren alle Kaufhäuser „arisiert“. Ab 1948 wurden sie in der DDR verstaatlicht und 1991 der Treuhand unterstellt. Bei ihrer Reprivatisierung kam es erneut zu erpressungsähnlichen Akten, zuletzt durch das Investitionsvorranggesetz, mit dem man die Ansprüche jüdischer Alteigentümer quasi ausschaltete. Im Westen war es 1968 zu einem Bombenattentat auf ein Frankfurter Kaufhaus gekommen. Die vier linken Täter wollten damit ein Fanal für Vietnam und gegen die gleichgültigen Konsumenten hier setzen. Wenig später fand die „Bewegung 2. Juni“ zu dieser Tradition zurück, indem sie Banken überfiel – und dabei Mohrenköpfe verteilte. Die Erpressungstaten von Dagobert, die in immer ausgetüftelteren Geldübergabegeräten gipfelten, waren dann eine gelungene Synthese aus all diesen proletarischen Ex. Mit dem einen Unterschied, daß sie nur zur Sicherung seiner Individualexistenz dienten. Das machte ihn zwar „klein“ (jämmerlich laut Bild-Zeitung), gab ihm aber die Chance, leichter als etwa der Friedenauer Terrorist und Memoirenautor Till Meyer wieder von der Medienente zurück ins „normale Leben“ zu finden.
Diese „Phase“ ist jetzt bei Funke mit dem Buch abgeschlossen. Sinnigerweise ist er damit einer der ganz seltenen „Fälle“, da die in der Arbeiterbewegung entwickelte Resozialisierungs-Idee erfolgreich war. Der erneute Medienrummel – nun um seine Buchvorstellung – wird diesmal von ihm selbst „gesteuert“ – nicht mehr von der Polizei. Im Gegensatz zu seinen Eulenspiegel-Karikaturen und einem taz-Artikel ist seine Dagobert-Geschichte nur halb so komisch wie die Geldübergabegeräte, denn der Witz lag hier nicht primär im Detail, sondern in der Irreführung des Fahndungsapparates. Schon erklärte der Karstadt- Konzern, er würde das Buch nicht verkaufen, und das Moabiter Gericht beschwerte sich, weil die Buchpräsentation in einer Galerie vis-à-vis dem Haupteingang stattfand. Dort fing dann ein Thüringer Trabantfahrer Funke ab, damit der ihm sein Auto signiere. Und diesmal waren die Journalisten – in ihren Fragen – „jämmerlich“. Den Polizisten, namentlich „seinem“ inzwischen verrenteten Verhörbeamten, hatte man die Teilnahme verboten: Sehr komisch! Helmut Höge
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