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Kick and rush made in Germany

Euro-Qualifikation: Wie unsere Nationalmannschaft mit 3:1 in Moldau-Moldawien triumphierte. Mit drei Punkten jetzt schon auf Platz 3 und gleichauf mit Liechtenstein  ■ Von Bernd Müllender

Berlin (taz) – Es geht also doch wieder. Schlecht spielen und trotzdem gewinnen. Vieles falsch machen und im richtigen Moment zur Stelle sein. Deutsche Tugenden einbringen, genauer: Athletik, Dynamik, Routine, und ein Match mit der gebotenen Cleverness nach Hause schaukeln. Deutscher Fußball, wie man ihn seit jeher kennt: ein traditionell sehr guter Torwart als Retter in vielerlei Not, abgezockte Stürmer als Instinktverwerter plötzlicher Chancen und überreichlich spielkulturelle Tristesse dazwischen. Und eben dieses unerschöpfliche Glück. Nach ein paar Spielen des Zweifels gilt Gary Linekers große Analyse wieder uneinschränkt: Fußball ist ein Spiel für 22 Leute, und am Ende gewinnt immer Deutschland.

Woran nur mag die diesmal besonders debakulöse Vorstellung gelegen haben? Womöglich wußten die Deutschen gar nicht, gegen wen sie spielen. Wirklich Moldawien? Oder Moldau? Gegen die Republik Moldova? Verwirrung aller Orten: Christian Nerlinger sprach von „den Moldauern“, Bierhoff erlebte ein Spiel gegen „die Moldawier“. Im ARD-Studio wußte Moderator Delling überraschend davon zu berichten, daß „Moldawien der Name aus der Zeit der Sozialisten“ sei. Dem wolle man „sich anschließen“. Um dann allerdings immer von den Moldauern zu reden und gleichzeitig zu behaupten, es gebe da halt eine offizielle Uefa-Sprachregelung. Dort aber hieß der Gegner: Moldova. Günter Netzer („in der Mannschaft sind aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur zu viele Minimalisten“), wählte den Kompromiß: „Die Moldawier, also, ähh, die Moldauer.“ Und lachte kurz! Günter Netzer!

Im Spiel gab es wenig zu lachen, vielleicht, weil sie gegen drei Gegner gleichzeitig gespielt haben? Auf mindestens zehn klare Torchancen kamen die Moldau-Moldovawier. Sie gingen früh (6. Minute: Guzun) unter fassungsloser Entzückung ihrer 5.000 Fans in Führung – vor vier Jahren wollten noch fast fünfmal so viele Zuschauer das Flair einer deutschen Nationalmannschaft in Chisinau erleben. Nach dem 1:3 binnen 18 Minuten (zweimal Kirsten, einmal Bierhoff) hätten die Moldoviter allein in der Viertelstunde nach der Pause locker mit 5:3 in Führung gehen können. Aber immer stand der großartige Oliver Kahn mit Blitzreflexen im Weg.

Uli Stielike, der neue Übungsleiter mit der bizarren Selbstanalyse („Bevor ich Trainer wurde, war ich Fußballer. Und zuvor Mensch“), hatte kurz vor Anpfiff „Lockerheit und Konzentration“ der Seinen gefordert. Die Spieler schafften nichts davon und sprachen nachher so konsequent aneinander vorbei, wie sie gespielt hatten. Nowotny, souveräner Sieger der deutschen Vielfehlpaßwertung: „Wir waren nicht aggressiv genug.“ Nerlinger, auffälligster Versteckspieler der Tarnkappenträger, besonders kurios: „Wir waren zu ungestüm.“ Bierhoff, mit Bewegungsverrenkungen wie zu schlechtesten Uerdinger Zeiten: „Wir waren zu passiv.“

Selten zeigte ein Match derart unterschiedliche Spielphilosophien. Die Moldovansen kombinierten, dribbelten, doppelpaßten kühn und oft erfolgreich auf kleinsten Räumen. Die Deutschen vollführten endlose Sicherheitsstafetten, bis der Gegner eine taktische Lücke offenbarte. Und dann die lange Flanke auf die potentiellen Vollstrecker Bierhoff und Kirsten. Kick and rush made in Germany.

Sinnfälliger Ort solch diametraler Spielaufassungen war der Strafraum. Den tapferen Moldonen diente er als Spielort, wo weiter munter gedribbelt und gepaßt wurde, und das sehr gekonnt. Den Deutschen war der Strafraum nur Zielort für lange Vorlagen. Weil sie dort weitgehende Kopfballhoheit besaßen (Trainer Ivan Danielant: „Wir haben im ganzen Land keinen guten Kopfballspieler“). Und das funktionierte halt: Flanke – Kopfball – Tor; und Flanke – Kopfballverlängerung – Tor.

Nur vier Tage nach dem Türkei- Spiel hatten sich alle Erkenntnisse umgedreht: Kahn plötzlich als bester Mann gegen die wirbeligen Moldausen, die Dreierkette auf einmal porös und die Stürmer überraschend treffsicher nach der Ladehemmung zuvor. Erst brachte die Mittelfeldschablone nichts, gegen die zuvorkommend kopflosen Moldeven halfen jetzt ihre gleichen stereotypen Flanken. Teamchef Ribbeck sah „einen Rückschritt“, war dennoch „nicht enttäuscht“ und rief nach dem Strohhalm Matthäus, der sei „sehr wichtig für uns“. Denn: „In solch einem Spiel sind die die Besten, die nicht gespielt haben.“

Immerhin: Mit diesem unverschämten Sieg gegen die armen Moldowinenser katapultierte sich die Mannschaft vom letzten Platz ihrer Gruppe auf Platz 3 und konnte sich über die unglückliche 1:3-Heimniederlage der Türken gegen Finnland freuen. Und: Da der aufstrebenden Fußballmacht Liechtenstein mit 2:1 gegen Aserbeidschan der erste Coup überhaupt in einem Qualifikationsspiel gelang, liegen die punktemäßig wenigstens nicht besser als der – Ältere mögen sich erinnern – amtierende Europameister.

Schwache Spiele gegen vermeintlich kleine Gegner wie die Moldovatten hat es immer gegeben. Nur eben nicht, daß man technisch derart unterlegen war und dabei die eigene Abwehr so vorgeführt wurde. Günter Netzer weiß: „Wir sind in einer Leidensphase.“ Ob Berti, Deutschlands prominentester Vertriebener, daheim wohl gelächelt hat?

Deutschland: Kahn – Nowotny, Babbel, Rehmer – Ricken (53. Neuville), Ramelow, Beinlich (83. Wosz), Nerlinger, Tarnat – Bierhoff, Kirsten (73. Jancker)

Tore: 1:0 Guzun (6.), 1:1 Kirsten (19.), 1:2 Kirsten (36.), 1:3 Bierhoff (38.)

Gelb-Rot: Oprea (84.)

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