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Mythocrazy und Afronautik

■ Mojo Club feiert den Free Jazz-Pionier Sun Ra am kommenden Montag mit drei Filmen

Nicht alle Aliens kommen aus dem Weltraum. In den späten Vierzigern wählte der afro-amerikanische Romancier Ralph Ellison einen „unsichtbaren Mann“ als Protagonisten, um eine Erfahrung zur Sprache zu bringen, für die das „weiße“ Amerika weder Ort noch Zeichen besitzt. In den frühen Achtzigern ließ John Sayles in seinem Film The Brother from An-other Planet einen Alien in Harlem landen, der sich von seinen Hä-schern nur durch die „schwarze“ Farbe seiner Haut unterschied. Da jeder Diskurs auf Ausschlußmechanismen beruht, kehrt das Nicht-Repräsentierte immer wieder zurück: manchmal als Gespenst, manchmal aber auch in Raumschiffen.

Der 1993 verstorbene Jazzpianist Sun Ra behauptete Zeit seines Lebens, vom Saturn zu stammen. Er gab seinen eklektizistischen Kompositionen Titel wie „Outer Spaceways Inc.“ oder „Rocket No. 9 Take Off For The Planet Venus“. Am kommenden Montag erfährt der Free Jazz-Pionier eine späte Ehrung im Mojo Club. Es werden drei Filme über ihn und sein Sun Ra Arkestra – wie der Musiker sein Orchester in Sprech-Schreibe nannte – gezeigt.

Vermutlich 1917 als Herman Poole Blunt in Birmingham/Alabama geboren, arbeitete Sun Ra in den 40ern als Pianist und Arran-geur für die Bands von Fletcher Henderson und Eugene Wright, die im Club de Lisa in Chicago die Striptease-Shows begleiteten. In den frühen 50ern änderte er seinen Namen in Le Suny'r Ra, stellte sein erstes Solar Myth Arkestra zusammen und ließ die Musiker in Weltraumkostümen auftreten.

Von der gängigen Hard Bop-Spielweise dieser Zeit unterschied sich das Arkestra durch eine stärkere Rhythmisierung und die Suche nach ungewöhnlichen Instrumentierungen. Durch den Einsatz der ersten Proto-Synthesizer, poly-rhythmischer afrikanischer Percussion und freier Improvisationen in Big Band-Stärke bildete Sun Ra seit Mitte der 60er Jahre einen ganz unverwechselbaren Stil aus.

Zu Texten, die vom Leben auf anderen Planeten, der Rückschau auf das Ende der Welt oder ägyptischer Mythologie handelten, entlockte Sun Ra seinen Keyboards elektronischen Lärm, während sich das als Wohngemeinschaft lebende Arkestra an immer ausgefalleneren Instrumenten in immer extravaganteren Kostümen versuchte.

„It's more than avant-garde“, beschrieb Sun Ra seinen Stil, „be-cause the ,avant-garde' refers to, I suppose, advanced earth music. But this is not earth music.“ Wenn der Anspruch, aus dem All zu senden, „far-out“ oder exzentrisch scheint, dann weil er in der kulturellen Topologie des rassistischen Amerika einen geographischen Ort am Rande des Ethno- und Logozentrismus ausweist. In Sun Ras diskursivem Universum erfährt die an den Rand gedrängte „schwarze“ Kultur ihre Übersetzung in einer Reihe von Space- und Alien-Metaphern, die die geschichtliche Erfahrung der afrikanischen Diaspora wiedergeben: Die räumliche und psychische Ausgeschlossenheit, die „Exterritorialität“. Wenn dieses Universum von ägyptischen Pharaonen in Raumschiffen durchquert werden kann, unterlaufen diese Metaphern die Dichotomien des herrschenden Diskurses.

„If history is his story“, erklärt Sun Ra im 1975 von Robert Mugge gedrehten Dokumentarfilm A Joyful Noise, „then my story is a mystery.“ Im narrativen Experimentalfilm Space Is The Place (John Coney, 1974), der darauf besteht, daß ein afro-amerikanischer Realismus ein Surrealismus sein muß, landet Sun Ra mit einem Raumschiff im Oakland der Black Panther. Mystery, Mr Ra (Frank Cassenti, 1984) dagegen arbeitet mit den Formen des klassischen Konzertfilms und setzt ganz auf die verschrobene Musik des Arkestra.

Tobias Nagl

Sun Ra – Space Is The Place, Mojo Club, Reeperbahn, Montag 23. Oktober, 21 Uhr

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