: Die ewige Seeräuberjenny
So wie sie sang, organisierte sie auch ihr Leben: immer etwas spröde, immer exzellent eine Spur neben dem Ton – Lotte Lenya. Die Frau und legendäre Interpretin des Komponisten Kurt Weill begeisterte das Berlin der zwanziger Jahre. Im US-Exil hatte sie auch nach Weills Tod Erfolg – als seine Nachlaßverwalterin. Morgen wäre sie hundert Jahre alt geworden. Ein Portrait ■ von Jan Feddersen
Sie gehörte zum inneren Zirkel der Boheme im Berlin der zwanziger Jahre. Hatte da und dort Erfolg gehabt, auf der Bühne, singend, manchmal tanzend. Sie war nicht gerade sensationell, aber man nahm Notiz von ihr. Von ihrer Stimme vor allem. Die nannte der spätere Philosoph Ernst Bloch „süß, hoch, leicht, gefährlich, kühl, mit dem Licht der Mondsichel“. Doch erst als Lotte Lenya Mitte der zwanziger Jahre auf Kurt Weill traf, wurde sie tatsächlich zu einer der raren Königinnen der Hauptstadt.
Bekanntgemacht wurden sie einander von einem anderen aufstrebenden Künstler im Zwischenkriegsberlin – von Bertolt Brecht. Für Lenya war das Rendezvous mit Kurt Weill das entscheidende. Durch die Bekanntschaft wurde sie zu der Interpretin der Musik jenes Mannes, der die „Dreigroschenoper“ komponierte. Sie war ihm die Polly, die das Lied von der „Seeräuberjenny“ zur echten weiblichen Drohung machte: „Meine Herren, heute sehen Sie mich Gläser abwaschen, und ich mache das Bett für jeden...“
Eine Karriere begann, die verlief, wie es einem Aschenputtel geziemt – aus der schmierigsten Gosse ganz oben aufs Podest. Geboren wurde die Lenya 1898 als Karolina Blamauer und drittes Kind eines Kutschers in einem Wiener Arbeiterbezirk.
Karolina, schreibt ihr Biograph Daniel Spoto, „war nicht hübsch – sie hatte eine blasse Haut, unscheinbares braunes Haar, eine große Nase, einen breiten Mund und einen ausgeprägten Überbiß“. Ihre Kindheit muß ein Alptraum gewesen sein; ein prügelnder Vater, eine an ihr wenig interessierte Mutter. Als Elfjährige schließlich verdient sich Fräulein Blamauer schnelles Geld auf dem Straßenstrich.
Eben dort lernt sie zu verfeinern, was Männer – und Frauen – an ihr am meisten bewunderten: Sexappeal. Dort kultivierte sie eine erotische Ausstrahlung, die Nähe versprach und dennoch eine gewisse distanzierte Kälte stets einhielt. Wie Aschenputtel brauchte auch die Lenya eine gute Fee, ehe sie ihrer wahren Bestimmung entgegengehen sollte.
Die Fee war Tante Sophie aus Zürich, die sich dieses Kindes erbarmte und zu sich in die Schweiz nahm. Dort kam die Lenya erstmals mit dem Schaugewerbe in Berührung, mit der künstlerischen Avantgardebewegung der Dadaisten obendrein. Aber sie wollte höher hinaus – und da gab es keinen besseren Ort als Berlin, um diese Ambitionen gelingen zu lassen.
Hier war Lenya am rechten Platz. Max Reinhardt, Erwin Piscator, Fritz Lang, Billy Wilder, Fred Zinnemann, Erich Kästner, Bertolt Brecht – und Kurt Weill: Tonangebende Männer, die Frauen wie Lenya brauchten, Musen, die mehr waren als zickige und träumende Dienstmädchen, dafür selbstbewußte und aufstiegswillige junge Frauen. 1926 heirateten Weill und Lenya. Bei ihm war es Liebe auf den „ersten Ton“ (Daniel Spoto).
Er fand in ihr seine Interpretin par excellence, sie in ihm (auch) ihre künstlerische Bestimmung. Was er an Tönen verfaßte, galt ihr und nur ihr. Nur sie konnte Polly sein, nur sie war gut genug, sein Werk von den „Sieben Todsünden der Menschheit“ zu singen.
Sie nannte ihn in Briefen „Schweenchen“, er sie „Kleenchen“ – Koseworte aus einer fast unschlagbaren Ehe. Weill introvertiert, die Lenya hingegen lebhaft. Er wollte ihr ein „Lustknabe“ sein, sie sein „Muschelchen“, wie aus einem kürzlich publizierten Band mit Briefen zu entnehmen ist: „Sprich leise, wenn Du Liebe sagst.“ Beide führten eine Ehe, die für damalige Verhältnisse schockierend war: offen, auch in sexueller Hinsicht. Weill hatte seine Verhältnisse, die Lenya sowieso.
Er muß sie angebetet haben, gerade weil sie nie sein Groupie sein wollte, sondern eine Partnerin, ohne daß dieses Wort damals schon geläufig war. Eine Gattin, die ein modernes Rollenbild lebte: Die Frau sei dem Manne nicht untertan. Überliefert ist folgende Geschichte: „Sie konnte“, erinnerte sich eine Freundin, „so ein Schatz sein und im nächsten Augenblick schrecklich gemein, fast brutal. Geborgenheit und Fürsorge hat sie Weill nie geben können, ihre Launen wechselten von Tag zu Tag.“ Weill soll einmal gemeint haben, er hätte sich eine Ehe immer als Blick in die Hölle vorgestellt – und Lotte Lenya hätte ihm diese Vorstellung nur bestätigt. Anders formuliert: Sie waren nie wie Geschwister und kein Ehepaar in Puschen, weshalb sie sich vielleicht wirklich geliebt haben. Zwar ließen sie sich 1934 scheiden – heirateten trotzdem wieder: Ohne einander war ihnen rasch langweilig.
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme emigrierten die Weills; zunächst nach Paris, später, Mitte der dreißiger Jahre, nach New York. Die Flucht geriet beiden zum Glücksfall. „Es ist so einfach, es ist, als komme man nach Hause“, sagte Lenya kurz nach ihrer Ankunft in den USA. Sie war ja geübt, die Stadt und das Land zu wechseln. Es mag auch eine Rolle gespielt haben, daß in den USA, vor allem im europäisch orientierten New York, die Musik der Weimarer Republik gerade sehr in Mode war.
George Gershwin, einer der fleißigsten und berühmtesten Komponisten der amerikanischen Unterhaltungsmusik, lobte Weill gegenüber die Verfilmung der „Dreigroschenoper“, urteilte aber über die Lenya, daß sie „ein zu ausgefallenes Talent“ habe, „um beim breiten amerikanischen Publikum Anklang zu finden; aber sie hat Ausstrahlung und eine unverfälscht reizvolle Stimme wie ein Knabensopran“.
Die Vorbehalte Gershwins gegen die Lenya fielen nicht weiter ins Gewicht. Weill komponierte in den USA, hoffend, daß der Hitlerische Spuk bald ein Ende haben werde; die Lenya sang – und beide ließen es sich gutgehen in der selbstgewählten Verbannung. Daß sie trotzdem nicht die berühmteste Deutsche auf der anderen Seite des Atlantiks war, machte Lenya, wie es sich gehört, rasend uncharmant neidisch. Die Dietrich zum Beispiel hat sie als „Miss No-Talent“ bezeichnet. Wie hätte sie diese Ungerechtigkeit auch sonst verdauen können, daß sie die bessere Stimme und den gebildeteren Mann hatte, die Dietrich gewiß aber die besseren Einspielergebnisse an der Kinokasse?
Letztlich war die Lenya einem amerikanischen Mainstreamgeschmack wirklich nicht bekömmlich – dafür war die Musik Weills allzu strikt europäisch intellektuell. Im Gegensatz zur Dietrich bekam Lotte Lenya bei ihren Nachkriegsauftritten in Westdeutschland auch nicht das gehässige Etikett der „Vaterlandsverräterin“ umgehängt.
1950 starb Weill – und damit begann Lenyas große Alterskarriere. Sie litt an seinem Tod, vor allem daran, keinen Konterpart mehr zu haben. Also tröstete sie sich mit drei weiteren Ehen. Ihre Gatten waren ausnahmslos homosexuell – Lenya brauchte sie nur, ganz Dame, die ihr Leben selbst in die Hand genommen hat, als maskulinen Begleitservice. Sexuelle GespielInnen organisierte sie sich zeitlebens unabhängig vom Ehestand selbst.
Bis zu ihrem Tod am 27. November 1981 war sie in allererster Linie Nachlaßverwalterin Weills. Die Lenya war es, die seit Anfang der fünfziger Jahre die Brecht/ Weill-Renaissance von Amerika aus tatkräftig beförderte. Sie hat über das, wie sie es nannte, „heilige Feuer“ Weills gewacht. Und mit besenhartem Willen, oft nur dürftig drapiert durch ihren legendären Charme, darauf geachtet, daß ihre eigenen Interpretationen kanonisiert wurden.
Bei Neueinspielungen sorgte sie dafür, daß nichts von der reinen Lehre Weills abwich: Alles sollte sein wie früher, nicht eine Verzierung sollte zu zuckrig sein. Die Lenya musealisierte damit selbst ihre Gesangsweise: nicht schön, nicht gefällig, eher nervös, distanziert, verfremdet, „brechtisch“, wie sie selbst meinte.
Was die Lenya trotzdem nicht davon abhielt, gelegentlich Filmrollen zu übernehmen. In der James-Bond-Verfilmung „Liebesgrüße aus Moskau“ spielt Lenya die Rolle der KGB-Agentin Rosa Klebb. In der Finalszene versucht sie Sean Connery mit einer aus ihrer Schuhspitze gelösten vergifteten Klinge ins Jenseits zu befördern. Ein grandioser Kasatschok in grobem Schuhwerk: Nirgends war die Lenya garstiger, in ihren Gesichtszügen grob, verhärmt – und sehr sexy zugleich.
Heute wäre sie hundert Jahre alt geworden. Bear Family Records hat zu diesem Anlaß eine Box mit elf CDs herausgegeben, die fast alles enthält, was die Lenya in ihrem Leben eingespielt hat. Zu hören sind so etliche Versionen vom „Moon of Alabama“, die „Seeräuberjenny“ natürlich, auch die „Sieben Todsünden“, ihre amerikanischen Kafka-Lesungen, Lieder für das „US Office of War Information“, Mitschnitte aus Talkshows, aber auch ein neun Minuten langer Take einer Probe Lenyas mit Louis Armstrong aus dem Jahre 1956.
An der Art, wie sich beide an „Make The Knife“ herantasten, wird hörbar, was schon früher das europäische vom amerikanischen Showgewerbe unterschied: Armstrong müht sich liebevoll, der Lenya etwas Swing, eine etwas körperlichere Art des Gesangs nahezubringen. Die Dame macht tapfer mit, deutlich ist ihr nie abgelegter österreichischer Akzent zu vernehmen. Am Ende klingt es wie eine Fusion.
An den Interpretationen Lenyas ist auch zu erkennen, daß die Modernität der Kompositionen Weills spätestens in den sechziger Jahren verbraucht war. Die Moritatenhaftigkeit, einst gegen das deutsche Schunkeltum in Töne gebracht, wirkt belehrend; die Sprödigkeit teilnahmslos. Was ihren Liedern trotzdem ihren Reiz wie ehedem gibt, ist vielleicht dies: Lotte Lenya, die Kutscherstochter, hat den Deutschen und Österreichern versucht vorzusingen, wie es klingt, wenn Lebenslust auf eine Idee von Vernunft, von Intellektualität und bürgerliche Eleganz trifft. Das hatte nichts mit vernölter Stammtischvolksmusik zu tun.
Daß die Songs von Kurt Weill immer noch frisch klingen können, müßten dringend andere beweisen – Kate Bush etwa oder Annie Lennox. Und, wenn sie sich es sich denn traut, Céline Dion. In Salzburg probierte sich kürzlich Marianne Faithful. Mit Pop hat und hätte das nichts zu tun – in diesem Punkt war und wäre ihnen Lotte Lenya eine gute künstlerische Mutter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen