piwik no script img

■ H.G. HolleinColumba

Die Frau, mit der ich lebe, weiß oft nicht, wo sie ist. Nicht daß die Gefährtin unter vorzeitigem Alzheimer leidet, sie hat eben nur eine eher vage Vorstellung von ihrer relativen Befindlichkeit in bezug auf den Gesamtplaneten. Es ist mir zwar mit einiger Mühe gelungen, sie auf den Weg zur Arbeit abzurichten, Verabredungen an bisher unbekannten Orten sind dagegen jedesmal mit einem hohen Risiko behaftet. Dabei war sie in ihrer frühen Jugend angeblich sogar Fähnleinführerin bei den Pfadfindern. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß dieser Umstand für das bisher immer noch ungeklärte Verschwinden etlicher Kinder in den nordhessischen Wäldern verantwortlich ist. Ich wußte relativ früh in unserer Beziehung, woran ich war, als die Gefährtin mich fragte, ob man nicht mit dem Auto nach Malta fahren könne. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, daß sie an Straßenkreuzungen ihren Arm mit vorwurfsvoll gerecktem Zeigefinger mißtrauisch in die falsche Richtung streckt, um die klassische Frage zu stellen: „Nicht da lang?“ Problematisch ist nur, daß ihr in solchen Momenten aufkommenden Zweifels reflexhaft eine gewisse Bockigkeit eignet. Wehe mir, wenn das verheißene Ziel dann nicht gleich um die nächste Ecke liegt. Ich sollte es vermutlich auch als kränkend empfinden, wenn die Gefährtin nach der Landung am Urlaubsort als erstes nach einem offiziellen Ortsschild sucht. Vermutlich beruht diese Angewohnheit auf einem von mir – zugegebenermaßen im Vorfeld nur unzureichend aufgeklärten – Irrtum. Die Gefährtin hat mir bis heute nicht ganz verziehen, daß es von der westindischen Inselwelt eben kein Katzensprung in die Wüsten des westindischen Rajasthan ist. Mein tröstend gemeinter Hinweis, daß sie mit dieser Fehlerwartung auf traditionsschwangeren Spuren wandele, kam merkwürdigerweise nicht besonders gut an. Seitdem blase ich deshalb nach dem Start lieber erstmal meinen kleinen Gummi-Globus auf.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen