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Die Depression des Ameisenbärs

■ Lizenz zum Wortspiel: Funny Van Dannen liest heute im Mojo Club aus seinem Kleinkunst-Bastard „Komm in meine Arme“

Selbsthaß vermutete kürzlich eine Kollegin der Süddeutschen Zeitung als Ursache für die von ihr diagnostizierte Verachtung einheimischer SchriftstellerInnen durchs hiesige Lesepublikum. Und bemängelte auch, daß deutsche AutorInnen – von Beyer bis Schulze – sich lieber am „Leben im Kleinformat“ abarbeiten, ja gar „zurück in die Kindheit flüchten“, statt den großen, Politik, Gesellschaft und kriminelle Energien kreuzenden Wurf zu wagen.

Vor diesem Hintergrund wäre Funny Van Dannen allein schon dafür zu danken, daß er nicht larmoyant eine altersgemäße Midlife-Crisis zum Gegenstand seiner Gedanken macht, die auch in seinem „Poesie-Album“ mit dem besänftigenden Titel Komm in meine Arme manchmal flinker den Weg aufs Papier finden, als ihm selbst lieb sein kann. Da werden aus weißen Tauben – wohl müde geflogen – einfach so Plastiktüten. Und aus Adjektiven kurzerhand Subjekte, denn „winzig wollte wachsen“.

Auch wenn nicht gleich hinter jeder Schreibmaschinenfeder ein ganzes Universum lauert, so ist auch der in Berlin residierende Lebenskünstler mit der Lizenz zum Wortspiel weiterhin am surrealen Potential von Alltagskram (im weitesten Sinne des Wortes) interessiert. Wobei ihn speziell jener Moment umzutreiben scheint, in dem die große, weite Welt der Dichter, Denker (und Maler) in die kleine Wirklichkeit von Freundschaft, Liebe, Zweisamkeit einbricht („Blödsinn“, „Philosophie“). Zäumt er das Pferd auf seiner Farm der Tiere von hinten auf, wird aus einem in Kassel gestrandeten Dromedar ganz beiläufig eine Symbolfigur für ein veraltetes Staatsbürgerrecht. Und die Geschichte vom gefrusteten Ameisenbären, der mal „unflexibel und phantasielos und glücklich und zufrieden“ war, liest sich wie eine Allegorie auf die schöne dienstleistende Welt der Arbeit. Heißt ja auch „Die Wende“.

Dabei kommt Komm in meine Arme formal als Kleinkunst-Bastard daher, als vernetztes Sammelsurium aus Vier-, Acht- und Zwölfzeilern, Kurz-Geschichten mit mal mehr, meistens weniger plot, längeren Poesie-Schinken, aufgelockert immer wieder durch Collagen und Malereien, die Funny aber nie für sich stehen lassen kann. Er ist nun mal ein Mann des Wortes, vor allem. Und als solcher klug genug für die, die über Guildo und Wigald die Nase rümpfen – und (b)anal genug für die, die verquaste Schlaumeier nicht ausstehen können.

Infantil im Sinne von „Kinder an die Macht“ kommt Komm in meine Arme indes kaum daher. Funny weiß es besser; schließlich hat er selbst nicht weniger als vier Söhne. Und ansonsten gilt: „Wie oft verschwimmt der Blick nach vorn und geht ein Traum nach hinten los, so groß sind die gemeinen Wirklichkeiten, daß sie unbesiegbar scheinen.“ Nicht erst der große Wurf ist manchmal schon schwer genug.

Jörg Feyer

Funny Van Dannen: „Komm in meine Arme“, Verlag Antje Kunstmann, München, 80 Seiten, 24,80 Mark

Lesung: heute, 21 Uhr, Mojo

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