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Die Kapelle des letzten Schrittes

■ Nur ein halbes Jahr nach der Auswahl seines Entwurfs wurde Ilya Kabakovs Auswandererdenkmal „The Last Step“ gestern Bremerhavens Öffentlichkeit übergeben

Großer Bahnhof für Ilya Kabakov in Bremerhaven: Ein halbes Jahr, nachdem sein Entwurf eines Auswandererdenkmals für die Hochschule Bremerhaven zur Realisierung ausgewählt wurde (die taz berichtete), konnte das Bauwerk mit dem Namen „The Last Step“ gestern der Öffentlichkeit übergeben werden. Kabakov hat auf jede traditionelle Form des Denkmals verzichtet. Sein sechs Meter hoher, sechs Meter breiter und und sieben Meter langer Raum aus roten Klinkern verwendet das gleiche Material wie die Klinkerbauten, die ihn umgeben. Der fensterlose Kubus hat nur zwei sehr schmale Eingänge, die auf einer Achse liegen mit dem wenige Meter entfernten Zugang zum ehemaligen Auswanderhaus – heute Teil der Hochschule. Das beherbergte in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Auswanderer für die letzten Tage in Europa, bevor sie den „letzten Schritt“ aufs Schiff setzten. „Das Salz des Denkmals“, beschreibt der Künstler sein Werk, „liegt in der Symbiose zwischen Rückblick und Aufbruch.“

Vor mehreren hundert Gästen sprach Eckhard Schneider, Direktor des Kunstvereins Hannover, von dem „tiefen Geheimnis“ dieses Raumes, der die Betrachter auf sich selbst zurückverweise. Nach dem Festakt wurden die Gitter vor den Eingängen zurückgeschoben, und tatsächlich: Es war nicht möglich, daß sich mehrere Menschen zugleich in den Raum zwängten. „The Last Step“ ist laut Kabakov ein Schritt, den jeder allein machen muß. Er führt in einen Raum, den der in New York lebende und gerade mit dem „Kaiserring“ der Stadt Goslar ausgezeichnete Künstler als einen Ort der Stille begreift, von dem aus der „Sprung in das absolut Unbekannte“ gewagt werde.

Schon bei der Präsentation seines ungewöhnlichen Denkmal-Entwurfs im März 1998 hatte Kabakov gesagt, er wolle „die emotionale Energie“ dieses Ortes bündeln. Es ginge ihm um ein „starkes, sehr persönliches Gefühl“. Wenn auch zwischen den vielen Neugierigen, die sich gestern mittag in das Gebäude drängelten, die Ruhe und jedes individuelle Gefühl zu kurz kommen mußten, so läßt doch die hellbraun verputzte Wand und das schwache künstliche Bodenlicht des äußerst nüchtern gehaltenen Innenraums ahnen, was Kabakov bewirken will. In zarten blauen Linien hat er ein Auswanderschiff des 19. Jahrhunderts auf die Wände aufgetragen – mit Rahen und hohen Schornsteinen, aus denen Rauch aufsteigt. Die Besucher blicken auf das Schiffsdeck, sie erkennen schemenhaft gezeichnete Gestalten an Bord, die sich aneinander kauern, und wer sich im Raum umsieht, kann leicht zu schwindeln beginnen, denn das Schiffsdeck ist um 40 Grad geneigt und scheint in schwerer See zu liegen.

„The Last Step kann Hoffnung geben für alle, die auch heute noch den Aufbruch in eine neue Welt wagen wollen und gleichzeitig für diejenigen, die sich trotz angespannter Haushaltslagen weiterhin um Kunst im öffentlichen Raum bemühen“, sagte Fritz Fricke, Konrektor der Hochschule Bremerhaven, zur Eröffnung dieses von der Spielbank-„Stiftung Wohnliche Stadt“ und durch Spenden finanzierten Memorials. Es macht einen einmaligen Ort auf einmalige Weise und ohne Zeigefinger, Kitsch oder Nostalgie zu einem Denkmal. Eckhard Schneider hat recht: Es verweist die BesucherInnen auf sich selbst.

Hans Happel

Ilya Kabakov hält heute um 18 Uhr in der Bremer Kunsthalle einen Vortrag unter dem Titel „Über die totale Installation“

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