: Die im Dunkeln sehen am besten
Besuch bei Kongos Rebellen: Ihr Herrschaftsgebiet liegt am Boden, aber geduldig spinnen sie die politischen Fäden, in denen sich das Kabila-Regime irgendwann verfangen soll ■ Aus Goma François Misser
Kleinwüchsig, bekleidet mit gestreiftem T-Shirt und Shorts, die Sonnenbrille vor den Augen und das Satellitentelefon in der Hand, macht Alexis Thambwe einen entspannten Eindruck. Der steinreiche Geschäftsmann, 1994–96 Transportminister Zaires unter Mobutu, ist „Interimskoordinator“ der Rebellenbewegung „Kongolesische Sammlung für Demokratie“ (RCD), die den Osten des Kongo beherrscht. Interimskoordinator ist er, weil der eigentliche Koordinator Lunda Bululu, Premierminister Zaires 1990–91, gerade auf Reisen ist.
Thambwe empfängt seinen Besuch in Goma in einer Villa, die ihm sein Freund Victor Ngenzayo geliehen hat. Ngenzayo ist mit dem kanadischen Konzern Banro assoziiert, dessen Zinnminen im Süd- Kivu vom kongolesischen Präsidenten Laurent Kabila Ende Juli verstaatlicht wurden – kurz vor Beginn der RCD-Rebellion.
Thambwe spielt eine gewichtige Rolle in der von Ruanda und Uganda gestützten RCD, die im August beinahe Kongos Hauptstadt Kinshasa erobert hätte und jetzt, zurückgeworfen auf den Osten des Landes, wieder militärisch auf dem Vormarsch ist. Er beschreibt im Detail die Militäroperation, die am 12. Oktober zur Einnahme von Kindu führte, letzte Regierungsbastion im Osten. Nachdem Kindu fiel, erzählt er, habe er gejubelt: „Ich muß da hin! Das ist meine Stadt! Die Bevölkerung wird mich in einer Sänfte tragen!“ Tatsächlich flog er dann in die Hauptstadt seiner Heimatprovinz Maniema und wurde begeistert empfangen.
Ein Stratege ist Thambwe auch in anderen Bereichen. Aus dem Kopf referiert er wirtschaftliche Entscheidungen der Rebellen: Requisition von Zement in Kalemie, Annullierung der Verstaatlichung von Banro. Er definiert sich als Wirtschaftsliberaler.
Die RCD-Führung hofft, daß nach der Einnahme von Kindu die Wirtschaft in ihrem Territorium wieder in Gang kommt. Das ist bitter nötig. Die RCD-Hauptstadt Goma ist eine traumatisierte Stadt. Die Hotels sind fast leer. Die Banken haben kein Geld. Die Schulen sind geschlossen, weil die Eltern die Lehrer nicht bezahlen können. Die Bauern lagern ihre Kaffeebohnen am liebsten zu Hause und transportieren sie nur noch mit einer Militäreskorte zur Verkaufsstelle. Jeder kämpft ums tägliche Überleben, was der Stadt tagsüber einen belebten Charakter gibt. Aber man sieht nirgends mehr die „Tshukudus“, jene plumpen Holzkarren, mit denen in dieser Weltregion die Bauern ihre Waren aus den Hügeln in die Städte bringen – ein Hinweis darauf, wie prekär die Sicherheitslage im Umland sein muß.
Nachts sind die Straßen sowieso leergefegt. Die RCD-Führung kann ihre Soldaten nur selten bezahlen, und in der Dunkelheit „verwandeln sich die Soldaten in Banditen“, berichtet sogar die von den Rebellen kontrollierte lokale Radiostation „Radio Goma“. Wie es in der Meldung heißt, wurden am Vorabend im Stadtviertel „Tschetschenien“ 218 „Verdächtige“ festgenommen, darunter Deserteure, Leute ohne Ausweise, Diebe und 45 „Infiltrierer“, also ruandische Hutu-Milizionäre oder traditionelle Stammeskrieger aus den Tutsi-feindlichen Mayi-Mayi- Milizen. Fünfzehn Waffen seien beschlagnahmt worden.
Bisher sind die Bewohner Gomas skeptisch über ihre neuen Herren: „Kabila ist ein Diktator, aber mußte man einen Krieg anzetteln, damit er geht? Man hätte doch warten können, bis er sein Versprechen freier Wahlen bricht“, meint ein Geschäftsmann, der wie andere Gesprächspartner Mißtrauen gegenüber dem großen Einfluß Ruandas äußert.
„Diesmal kämpfen wir für uns selbst“
Die Soldaten in Goma sind jedoch in der Mehrzahl keine Ruander, sondern Kongolesen. Man sieht viele ehemalige Mitglieder der zairischen Zivilgarde und sogar einstige Präsidialgardisten des früheren zairischen Diktators Mobutu Sese Seko. Sie haben sich aus dem „Konzentrationslager“ Kitona, wie es der junge Soldat Emile nennt, im Westen des Kongo auf die Seite der Rebellen geschlagen. Emile erzählt, wie in Kitona körperliche Züchtigung mit Lesestunden aus Kabilas „Grünem Buch“ einander abwechselten. Die Mobutu-Soldaten machen einen überzeugten Eindruck: „Für Mobutu wollten wir nicht kämpfen“, sagt einer. „Aber diesmal kämpfen wir für uns selbst.“ Die RCD-Militärführung ist viel kongolesischer, als es die der AFDL unter Kabila im Krieg gegen Mobutu 1996–97 war. Damals hatten Ruander und Ugander das Sagen. Heute hört man im Umfeld der Rebellenführung genausoviel Lingala, traditionelle Sprache der Mobutu-Armee aus dem Westen des Kongo, wie Suaheli, das in Ostafrika gesprochen wird. Geschäftsleute aus allen Landesteilen sind anzutreffen.
Insgesamt ist die Rebellenführung äußerst heterogen. Neben Mobutu-Größen wie Thambwe und Bululu amtieren Tutsi, die sich von Kabila losgesagt haben, wie Ex-Außenminister Bizima Karaha, der ehemalige AFDL-Generalsekretär Deogratias Bugera und Kabilas ehemaliger Kabinettschef Moise Nyarugabo. Und es gibt Politiker, die sowohl zu Mobutu wie auch zu Kabila in Opposition standen – zum Beispiel der Präsident der RCD, Ernest Wamba dia Wamba, ein über 70 Jahre alter Geschichtsprofessor aus der westkongolesischen Provinz Bas- Congo, der seit 1981 in Tansania im Exil lebte.
In der ehemaligen Residenz Mobutus voller Marmor und Malachit und antiker Möbel, die Kabila noch in ein „Museum der Verschwendung“ umwandeln wollte, sitzt Präsident Wamba in Mobutus Sessel aus grünem Samt mit Goldrand. Man beschreibt ihn hier als den „weisen Mann“ der Rebellion, der dem „weisen Mann“ Tansanias und Ostafrikas, Julius Nyerere, ähnele. Um Wamba gibt es keinen Personenkult; seine Funktion ist die eines Schiedsrichters innerhalb einer kollektiven Führung.
Er habe seine Dienste schon Kabila angeboten, den er aus dessen Zeit in Tansania kannte, erzählt Wamba. Aber nach zwei Monaten reiste er wieder ab – Kabila wollte ihn nicht haben, vielleicht gerade weil er Kabila aus Tansania kannte. Heute, sagt Wamba genau wie einst Kabila an derselben Stelle, sei er an der Macht eigentlich gar nicht interessiert. Wird er im Falle seines Sieges dieses Versprechen auch brechen? Hinter Wambas dicker Brille funkeln seine Augen amüsiert: Nein, wir werden eine kollektive Führung einrichten.
Die Rebellen sind optimistisch. Sie haben nach eigener Auffassung die bessere Militärtechnologie – in Kindu schossen sie ein Flugzeug ab. Sie verfügen über ein exzellentes Abhörsystem und zugleich über ein Satellitentelefonnetz, das nach Angaben seines Herstellers abhörsicher ist. Diplomatisch setzen sie darauf, daß Kabila sich mit seinen ungeliebten Verbündeten wie Libyen, Sudan und Nord-Korea im In- und Ausland diskreditiert, während die RCD durch diskrete Kontakte in alle Richtungen ihren diplomatischen Durchbruch organisiert. Ein Beispiel dafür ist Michel Tshibuabua, Freund des Tutsi Bugera und wie er Architekt, der in Goma mal im Anzug und mal im traditionellen Gewand herumläuft und sich selbst als „Mann der Schattendiplomatie“ bezeichnet.
Nachdem Tshibubua in Gabun einen Palast für Präsident Omar Bongo baute, versuchte er, Kabila und Bongo miteinander zu versöhnen – ohne Erfolg. Jetzt konzentriert sich der Mann mit der doppelten französischen und kongolesischen Staatsangehörigkeit auf seine Freunde in Ruanda, Uganda und Frankreich. Er kennt den Präsidenten von Burkina Faso, derzeitiger OAU-Präsident, ebenso wie den von Tansania.
Der Versuch, unterschiedlichste Tendenzen zu vereinen, charakterisiert auch die Innenpolitik der RCD. In der ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu streiten kongolesische Hutu gegen kongolesische Tutsi und beide gegen Milizen der Bahunde- und Banyanga-Völker; es handelt sich um oft mörderische Landstreitereien zwischen Bauern oder zwischen Bauern und Viehzüchtern. Vom 12. bis 16. Oktober fand nun in Kirchenräumen in Goma erstmals eine Friedenskonferenz zwischen traditionellen Führern all dieser Gruppen statt, zusammen mit Vertretern der RCD-Staatsmacht, der Zivilgesellschaft und der Kirchen.
Diskrete Diplomatie in alle Richtungen
Das soll der Beginn eines Dialogprozesses sein, der zumindest die Provinz Nord-Kivu befrieden soll. „Interimskoordinator“ Thambwe empfängt nach seinem ausländischen Besuch eine Delegation kongolesischer Hutu-Führer, und auch die innere Opposition zu Kabila in Kinshasa ist diskret in Goma vertreten.
Die Militärkommandanten wurden jetzt außerdem angewiesen, ausländischen Hilfsorganisationen ihre gestohlenen Autos zurückzugeben. Mit Ausnahme der deutschen Caritas sind fast alle ausländischen Helfer aus den „befreiten Gebieten“ der RCD abgezogen. Zu tun gäbe es genug: In Shabunda, 250 Kilometer westlich von Bukavu, wütet die Cholera, sagt der Vizegouverneur von Süd- Kivu, Benjamin Serukiza. In Uvira nahe der Grenze zu Burundi sind Tausende Tutsi-Flüchtlinge versammelt, die vor Massakern der kongolesischen Regierungstruppen geflohen sind.
Mitte August, so erzählen die die alten Leute, Kinder und Frauen, die sich in ein Schulgebäude in Uvira drängen, seien sie 180 Kilometer aus ihrer Heimat um Vyura in der südkongolesischen Provinz Katanga bis in den Seehafen Kalemie gelaufen; viele seien unterwegs gestorben. Die Überlebenden kamen dann per Boot nach Uvira. Auch hier droht Cholera, und die Impfstoffe sind längst ausgegangen.
„Wir würden gerne Kabila treffen, um ihm zu sagen, daß er ein Völkermörder ist“, sagt Ernest Wamba dia Wamba in Goma. „Aber daß er in einer Regierung sitzt, kommt nicht in Frage. Wir wollen ihn vor einen internationalen Strafgerichtshof bringen.“
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