: „Da herrschte sehr liberales Gedankengut“
■ Hans-Olaf Henkel, Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, berichtet im taz-Interview über Stinkbombenwürfe, Marx und seine Jahre an der HWP
taz: Herr Henkel, Sie haben einmal gesagt: „Ich war ein schwer erziehbares Kind.“ Sind Sie deshalb an der HWP gelandet?
Hans-Olaf Henkel: So schwer erziehbar war ich nun auch nicht. Ich hab' nach der Mittleren Reife in Hamburg eine Lehre bei einer Speditionsfirma gemacht. Danach wollte ich Anschluß an meine Freunde finden, die alle anfingen zu studieren. So bin ich – damals übrigens als einziger Unternehmersohn unter den Studenten – auf der HWP gelandet.
Die hieß 1959 noch Akademie für Gemeinwirtschaft.
Einige sagten auch: Akademie für gemeine Wirtschaft. Damals mußten wir in zweieinhalb Jahren den Abschluß schaffen. Wir hatten sehr kurze Semesterferien, das Studium war gestrafft und intensiv. Und wir hatten hervorragende Professoren, darunter etwa Ralf Dahrendorf, damals mit 33 Jahren der jüngste Soziologieprofessor Deutschlands.
Sicherlich gab es damals noch keine Massenuniversität.
Bedauerlicherweise ist aus der HWP heute ja ein Massenbetrieb geworden. Wir waren in jedem Studiengang nur 80 Leute. Da konnten sich die Professoren noch untereinander über ihre Studenten unterhalten. Es herrschte eine Kultur und eine Unterstützung, wie man sie heute nur noch in den modernsten und teuersten amerikanischen Universitäten antrifft.
Zur gleichen Zeit galt die HWP aber auch als Eliteschmiede der Gewerkschaften.
Das stimmt, aber ich kann mich nicht erinnern, dort mit besonders sozialistischem Gedankengut konfrontiert worden zu sein.
Die marxistische Wirtschaftstheorie haben Sie nie gepaukt?
Wir haben natürlich die Marxschen Theorien gelernt, aber es gab keinen Professor, der sich dazu verstieg zu sagen, das sei besser als Kapitalismus. Mein Eindruck war, daß gerade an dieser Schule ein sehr liberales Gedankengut herrschte.
Als Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie haben Sie aber auch negative Erfahrungen mit der HWP gemacht.
Vor drei Jahren sollte ich dort eine Gastvorlesung halten und wurde davon abgehalten, weil 50 Chaoten von der Straße mit Ketten und Stangen bewaffnet den Hörsaal stürmten. Sie verletzten einen Professor, der mich gerade vorstellte, und einen jungen Studenten, der sich zwischen mich und die Angreifer warf. Ich bin durch die Hintertür geflüchtet. Das war ein sehr unbefriedigendes Erlebnis.
Wie reagierten damals die Studenten der HWP auf Sie?
Die Studenten empfingen mich mit Stinkbomben und Trillerpfeifen. Das ist auch nicht angenehm. Aber das kann ich noch als Unsportlichkeit abtun.
Fragen: Karin Flothmann
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