piwik no script img

Aber sicher: Kunzelmann lebt!?

■ Am Montag abend stellte der Berliner Transit-Verlag die Lebenserinnerungen des Ex-Kommunarden und Politprovokateurs vor

Das Licht gedämpft, die Wände schwarz, auf dem Tisch – oder ist es ein Altar? – sakralrote Kerzen. Wem wird hier eine Messe gelesen? Wie nennt man die Anwesenden? Publikum? Fanclub? Trauergemeinde? Ohne Leiche? Buchvorstellung, nennen wir die Veranstaltung schlicht Buchvorstellung. Dazu war ins Kreuzberger Mehringhoftheater geladen – eine Buchvorstellung, wenn schon nicht in memoriam, dann zumindest in Abwesenheit des Autors.

Auf sein plötzliches Erscheinen, wie Kasperle aus der Kiste, hatte die hundertköpfige, leicht ergraute Gemeinde im Saal gelauert. Doch Ex-Kommunarde Dieter Kunzelmann, kauziger APO-Veteran, verschollener Politprovokateur, gab auch bei der offiziellen Präsentation seiner schriftlichen Erinnerungen kein Lebenszeichen von sich. Wenn es noch eines Zweifels bedurfte, dieser Abend hat ihn ausgeräumt: Kunzelmann lebt!– jedenfalls in den Köpfen und in der Erinnerung einer Schar von Getreuen. Seit eine Todesanzeige im April dieses Jahres den Freitod Kunzelmanns nahegelegt hat, fehlt von dem 58jährigen jedes Signal. Letzte Spuren hat er mit seinem Buch „Leisten Sie keinen Widerstand!“ hinterlassen, dessen Manuskript er kurz vor seinem Verschwinden dem Transit-Verlag auf den Tisch gepackt hat – handgekritzelt, mit der Kunzelmann-eigenen anarchischen Akribie und seinem antiautoritären Befehlston.

Am liebsten hätte der Mitbegründer der Kommune 1 mindestens 125 Familienfotos von Vati, Mutti und Geschwistern aus Bamberg in dem Buch untergebracht, schildert Kunzelmanns Lektor Rainer Nitsche feinsinnig-ironisch die Zusammenarbeit mit dem Autor K-Punkt. „Die muß weggeschnitten werden“, „von dem“ durfte keinesfalls ein Foto erscheinen, zensierte Kunzelmann unverhohlen. Und wenn man mit ihm essen ging, dann bitte vom Feinsten, sonst drohte ein Aufstand.

„Wer sich mit mir an einen Tisch setzt, hat schon verloren“, keckert Kunzelmann wenige Minuten später in die Kameras zweier Filmemacher, die ihn einst zum legendären Eichentisch der Kommune 1 befragten, der später der taz als Konferenztisch diente. Jeder Tisch sei „ein niederträchtiges Möbel“, die taz längst ein Blatt von „karrieresüchtigen Medienärschen“, und überhaupt habe es den K-1-Tisch „nie gegeben“. Eine Ein-Kunzel-Mann-Performance at it's best, die Gemeinde lachte lautes Wiedererkennen. „Wir verstanden uns nicht über das, was wir sagten, sondern wie wir es sagten“, schildert Bernd Rabehl, DDR-Weggefährte von Rudi Dutschke, seine erste Begegnung mit Kunzelmann, „die gegenseitige Faszination ist geblieben.“ Irgendwann hat der Verschollene sie wohl alle genervt, die graumelierten Anwälte, mütterlichen Freundinnen, Politveteranen und autonomen Bewunderer im Saal. Man mußte ihn mögen, um ihn auszuhalten. So wie Autor Hermann Bohlen, mit dem Kunzelmann – allem mißtrauend – stundenlang nur über die Gegensprechanlage seines Hauses kommunizierte. Gekicher im Saal. Ja, so ist, so war „der Dieter“. Und wenn dies wirklich eine Beerdigung gewesen sein sollte – dann wurde selten so gelacht auf einer Trauerfeier. Vera Gaserow

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen