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Lemonenbirne und Bärensalami

Der „Salon des Geschmacks“ in Turin präsentiert sich als weltgrößte Slowfood- und Weinausstellung aller Zeiten. Deutsche Betriebe sind nur schwach vertreten  ■ Aus Turin Manfred Kriener

Ratsch, ratsch, ratsch. Nicky schält Birnen. 120mal verliert die Sorte Königin Luise ihr grünes Kleid per Sparschäler. Ratsch, ratsch, ratsch. Der Stiel bleibt dran, Nicky hält daran die nackten Früchte fest, um sie in einem mit australischen Lemonenblättern getränkten Buttersud zu schwenken. Aromabad für das Dessert, das Stunden später ins Festmenü Nr. 24 aufgetragen wird. Ihre Chefin Stefanie Alexander, die beste Köchin Australiens, serviert mit ihrer Brigade „Die Küche der Gegensätze“: Känguruhschinken mit Chiccoreesalat und karamelisierten Zwiebeln, butterzarten Tintenfisch mit weißen Bohnen und Schafskäsebröckchen, Kalbskoteletts mit Parmesangnocci, Lemonenbirne mit Olivenölküchlein. Eines der großen Menüs am ersten Abend des „Salone del Gusto“, des Salons des Geschmacks in Turin.

Fünf Tage lang besuchen mehr als 100.000 Menschen die von Slowfood organisierte, weltweit größte Food- und Weinausstellung, dieses wahrhaft gigantischen Fest für Augen, Nase und Gaumen, das heute abend zu Ende geht. Die Industrie mit ihren Geschmacksdesignern und Aromapanschern hat Sendepause. 300 Betriebe, getreu der Slowfood- Philosophie überwiegend klein und mittelständisch, stellen ihre Kostbarkeiten vor, viele „vom Aussterben bedroht“, erklärt der Slowfood-Führer.

In den Seminaren warten 311 „Geschmackserlebnisse“, mehr als 50 Weindegustationen, 27 Käseproben, 22 Begegnungen mit Wurst und Fleisch auf hungrige Esser. Da sitzen dann die Feinzüngler wie in der Schulklasse in den Bänken, vor sich fünf Tellerchen mit fünf verschiedenen Salamis von Braunbär, Hirsch, Esel, Gans und Lamm, da schnuppern sie am jungen, alten und steinalten Käse, probieren frittierte Insekten oder Schokolade aus Venezuela, schlürfen in Blindproben Austern aus fünf Ländern und versuchen, den Unterschied zwischen irakischem und Schweizer Safran herauszuschnüffeln. Alle Besucher können sich Degustationsschnipsel kaufen – Stückpreis 1,50 Mark – und auf dem Marktplatz im Zentrum der Messehalle Käse, Würste, Schokolade, mehrere 100 Olivenöle und mehr als 2.500 Weine verkosten.

Von all dem ungerührt schüttet die australische Jungköchin Nicky drei Tassen feinstes, giftgrünes Olivenöl in den Kuchenteig, 25 Eigelb, 35 geschlagene Eiweiß, drei Tassen Dessertwein, Zucker, Orangenschale, Mehl. Sie arbeitet in einem der Zelte, die neben der Turiner Kongreßhalle aufgeschlagen wurden. Im Nachbarzelt werkeln die schwäbischen Aborigines des Stuttgarter Kochs Vincent Klink an ihren mit Nüssen und Dörrpflaumen gefüllten Hirschmedaillons. Italienische Hilfskräfte beäugen argwöhnisch einen Berg spinathaltiger Planquadrate, die Klinks Assisstent Marc ihnen verzweifelt und in breitem Schwäbisch immer wieder als „Maultascha“ vorstellt. Kulinarische Traditionen im Frontalzusammenstoß. Am nächsten Tag werden an gleicher Stelle Israelis und Palästinenser ein gemeinsames Nahost-Menü kochen. Frieden schaffen mit Messer und Gabel.

Klink ist neben dem Lübecker Gastronomenehepaar Tubbesing einziger deutscher Koch des Salone. Auf dem sinnbetäubenden Marktplatz der Geschmäcker ist unter den 300 Ausstellern aus der ganzen Welt kein deutscher Betrieb zu finden – eine Blamage für unser Land. Wo sind sie, die weltberühmten Rieslinge von Rheingau und Mosel, die deftigen deutschen Würste und Biere? Zu Hause, in den Kühlschränken verschnarchter Erzeuger, denen die Reise zu teuer war.

Dennoch kommen einige der interessantesten Beiträge des Salone aus „Germania“. Tausendsassa Lothar Tubbesing kocht das klassischste aller literarischen Menüs, das Festessen aus Thomas Manns Buddenbrooks. Die neue „Fusion- Küche“ mit ihrer Verschmelzung von asiatischen und europäischen Einflüssen „ist eigentlich ein alter Hut“, sagt Tubbesing. Schon bei Thomas Mann hätten sich brasilianische und Schweizer Küche durch die Herkunft von Mutter und Großmutter aufs köstlichste mit dem Geiz und dem Konservativismus der Lübecker Kaufleute vermählt. Auf seinem literarischen Speiseplan stehen: Kräutersuppe nebst geröstetem Brot, Rotzungenfilet im Zweifarbenspiel, ziegelroter Schinken mit Senfzucker und Plettenpudding mit Himbeeren als Nachtisch.

Besser essen und trinken auch für Kinder

Nicky bläst sich die Haare aus dem Sommersprossengesicht und setzt elefantengroße Kalbskotteletts ins heiße Öl. Später werden die satten Gäste die Hälfte des Fleisches auf den Tellern liegen lassen. Der Rest vom Kälbchen wandert auf den Kompost. Überall werden Unmengen weggeworfen. Genuß und Verantwortung, schlemmen und über die ökologischen Zusammenhänge bescheid wissen, ist das Motto von Slowfood. In Turin dominieren eindeutig Lust und Genuß.

Eines der heikelsten Themen wird in einem Symposium außerhalb des Salone behandelt: die Gentechnik in der Lebensmittelbranche. Hier eiert Slowfood, bezieht lauwarme Positionen und mag sich nicht zu einer wirklich kritischen Position durchringen. Die deutschen Mitglieder drängen auf klare Verhältnisse. Die Italiener wollen sich auf keinen Fall in einen ihnen aussichtslos erscheinenden Kampf einlassen. Konfrontation ist nicht der Stil der langsamen Genießer. „Die Logik der Militanz und des politischen Aktionismus sind gescheitert“, sagt Slowfood- Präsident Carlo Petrini. Immerhin: Es gibt ein paar Breitseiten gegen den Gentech-Multi Monsanto.

In der Eröffnungsrede hat Petrini nochmals das hohe Lied des Regionalismus gesungen. Wenn im globalen Dorf Erde überall dieselben Produkte verfügbar sind und gegessen werden, gewinne die regionale Tradition eine immer größere Bedeutung. Kleine, handwerklich arbeitende Betriebe sind Petrinis Ideal. Leider verzichtete der charismatische Präsident diesmal auf seinen Lieblingssatz: „Wir können Viagra vergessen, wenn wir besser essen und trinken!“

Besser essen und trinken sollen schon die Kinder. Sie glauben, daß Ananas mit Löchern in Dosen wachsen. Läßt man sie an Apfelduft schnuppern, kreischen sie „Shampoo!“ In einem Workshop sind Miniküchen für Fünf- bis Zehnjährige aufgebaut. Die vier Geschmäcker süß, sauer, salzig und bitter werden trainiert, es wird gerochen und gegessen. Slowfood hat das Okay der italienischen Regierung bekommen, um in zwölf Städten als Pilotprojekt Geschmacksunterricht in Schulen einzuführen. Doch bevor man den Schülern das Essen beibringt, müssen die Lehrer die Schulbank drücken und ihre Gaumen einnorden. „Die Hamburger sind nicht unser Problem“, sagt der Pädagoge Eric Vassallo, „aber unsere Kultur des Essens darf nicht verlorengehen.“

In den Kochzelten entspannt sich die Lage. Die Desserts sind serviert, die Gäste haben geklatscht, die Küchenchefs gelächelt. Die Brigade Klink hat mit Griesknödeln, eingelegten Marillen und Vanillecreme – zum Reinsetzen! – die Italiener begeistert.

Kurz vor Mitternacht schließt der Salone. Vor zwei Jahren beim ersten, noch kleinen Kongreß sind die Besucher anschließend durchs traumhaft schöne Orvieto flaniert. Seitdem ist der Salone gewachsen, nicht slow, sondern in rasendem Tempo. Das Riesenspektakel als neue Form der Präsentation der „intelligenten Feinschmecker“, wie sie Petrini gerne nennt? Das Meeting der Superlative bleibt zwiespältig: Wer durch die alten Fiathallen im Turiner Kongreßzentrum geht, muß einfach von diesem Festival begeistert sein, auch wenn er nicht gleich „die Bühne für das gastronomische Erbe unserer Kultur“ vor sich sieht. Doch vielen ist der Auftrieb schon zu groß. Und wie wird der Salone erst im Jahr 2000 aussehen?

Die Medien allerdings fliegen auf dieses „Wunder der Sinne“, wie eine italienische Zeitung schrieb. 500 Journalisten sind akkreditiert, und das staatliche Fernsehen „RAI due“ berichtete drei Stunden allein vom Eröffnungstag. Keine Frage, daß auch der italienische Ministerpräsident Massimo D'Alema Carlo Petrini zu einem Vier-Augen-Gespräch empfängt.

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