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In Bremen wird nicht gehupt

■ In der Schauburg wurde am Sonntag vormittag die Filmchronik „Bremen 1871-45“ vorgestellt

Für die Filmkameras war Bremen noch nie wichtig. So hat es aus jeder Epoche unseres Jahrhunderts nur wenige bewegte Kino-Bilder gegeben, und lediglich weil Peter Zadek mal am Bremer Theater arbeitete, gibt es mit „Ich bin ein Elefant Madame“ immerhin einen bedeutenden Film, der in und von Bremen handelt. Auch die Filmemacher Diethelm Knauf und Ulrich Scholz hatten mit diesem großen Manko zu kämpfen. Für eine historische Filmchronik braucht man möglichst viele Quellen, aber in den verschiedenen Archiven fanden sie gerade mal 15 Stunden Grundmaterial, aus dem sie dann ihren etwa eine Stunde langen Film zusammenbasteln mußten. Die ersten Bilder stammen von einem Besuch des Kaisers entweder 1903 oder 1905. Über die ersten 30 Jahre ihrer Chronik konnten die Filmemacher also nur indirekt mit Aufnahmen von historischen Gebäuden u.ä. berichten. Immerhin vermieden sie dabei peinlichst, die gängige Konvention mit Fotos, Zeichnungen, Gemälden oder Dokumenten zu bebildern. Dies ist wirklich eine Filmchronik – immerhin.

In der ersten halben Stunde sind Handel und Wandel allzusehr im Vordergrund des Films: Wer wann wo was produziert, exportiert, importiert oder verkauft hat, ist ein recht dröger Lehrstoff. Die Bilder von Hafenanlagen an der Schlachte, von Fachwerk-Speichern oder den dichtumdrängten Marktständen auf dem Marktplatz sind zwar echte Fundstücke, verblassen aber fast angesichts der monoton gelehrt dahinredenden Erzählerstimme.

In der zweiten Hälfte des Films gibt es dann zum Glück auch Bilder vom Alltag in der Stadt, von Künstlern, dem Verkehrsgewimmel auf der Brillkreuzung usw. Aber auch hier stört zunehmend die allzu konventionelle Machart. Dieser Film wird als Kauf-Videocassette vermarktet, und er soll das ideale Weihnachtsgeschenk für die alteingesessenen Bremer Eltern sein. Die Filmemacher wollten offensichtlich nichts falsch machen, und deshalb wirkt der ganze Film von der Regie her so lauwarm wie die Musik von Brahms, die ständig als Schmiermittel im Hintergrund spielt. Der rhetorische Höhepunkt des Textes ist ein neckisches „Gab es damals etwa auch schon die Bürgerpark-Tombola?“ zu den Bildern von Losverkäuferinnen.

Wenn es bei der Premiere in der ausverkauften Schauburg dann aber doch einige herzhafte Lacher gab, lag dies weniger an den Talenten der beiden Filmemacher. In den zwanziger Jahren wurde in Bremen ein Lehrfilm für Verkehrserziehung gedreht. Alles war ganz ernst gemeint, aber jetzt gibt es schöne Lacher, wenn etwa zwei Verkehrssünder auf dem Osterdeich blitzschnell von ihrem Fahrrad springen, während ein Schupo von links ins Bild tritt; oder wenn zwei Raudies in proletarischer Kluft die feinen Bürger auf den Gehwegen anrempeln oder wenn an der Stadtgrenze gleich nach der Lesumbrücke ein Schild gezeigt wird, auf dem steht „In Bremen wird nicht gehupt“.

Natürlich wecken die vielen historischen Stadtansichten bei allen Ur-BremerInnen ganz eigene Assoziationen – dies ist ja der Hauptreiz solcher Chroniken. Hans Koschnick analysiert als Zeitzeuge vor der Kamera die politischen Verhältnisse der verschiedenen Epochen, der Kaufmann Herr Böhmers und die Künstler-Nachfahrin Frau Overbeck erzählen, was ihre Eltern von früher erzählt haben.

Wilfried Hippen / F.: Bremer Medienhaus

Das Video ist vom 23. November an im Buchhandel zu erwerben

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