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Kein Korkenknallen in Brüssel

Gestern nahm die EU Beitrittsverhandlungen mit sechs neuen Kandidaten auf. Dabei ist die Übernahme von EU-Recht für die Bewerber die größte Hürde  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Genau neun Jahre und einen Tag nach dem Fall der Berliner Mauer begann die Europäische Union (EU) gestern die Aufnahmeverhandlungen mit Polen, Ungarn, Tschechien, Estland, Slowenien und Zypern. Nach all den Erweiterungsbeschlüssen, Vorverhandlungen und hinhaltenden Beitrittsgesprächen gehe es nun an die „tatsächlichen Verhandlungen“, wie es der neue Staatsminister im Auswärtigen Amt, Günter Verheugen, gestern ausdrückte.

Die ersten EU-Beitritte ehemals kommunistischer Staaten sind damit nur noch eine Frage der Zeit. Der 10. November 1998 könnte also in die Geschichte eingehen, aber die Sektflaschen blieben gestern in Brüssel zu. Denn die Zeit der Sonntagsreden ist vorbei, jetzt kommen die Probleme auf den Tisch. Seit März versuchen Beamte der EU-Kommission mit Delegationen aus den Kandidatenländern die Knackpunkte ausfindig zu machen.

In den vierzig Jahren ihres Bestehens hat die EU rund 80.000 Seiten an Richtlinien, Verordnungen und sonstigen Vorschriften angesammelt, von der Milchquotenregelung für Bauern über Industrienormen bis zum Schutz seltener Pflanzen. Alle diese Regelungen müssen von den Beitrittskandidaten übernommen und in die nationalen Gesetze eingebaut werden. Wo die Schwierigkeiten besonders groß sind, wie etwa bei den Garantiepreisen in der Landwirtschaft oder bei den Umweltvorschriften für die Industrie, werden vermutlich mehrjährige Übergangsfristen ausgehandelt, während denen sich die Länder nach dem Beitritt an den EU-Standard anpassen müssen. Doch der Großteil der EU-Regeln muß vorher erfüllt werden.

Das wird noch einige Jahre dauern. Bisher sind von 31 Kapiteln erst sieben vollständig durchgeackert. Die schwierigsten Brocken, Agrarpolitik, Umweltvorschriften und Binnenmarktgesetze, stehen noch aus. Die meisten Beitrittskandidaten haben zudem ihre Verwaltungssysteme noch nicht soweit reformiert, daß sie die EU-Vorgaben schnell umsetzen könnten. Der ungarische Außenminister Janos Martonyi kündigte gestern in Brüssel an, sein Land strebe einen Beitritt zum 1. Januar 2002 an. Der polnische Außenminister Bronislaw Geremek nannte als Ziel das Jahr 2003. Die EU-Minister wollten den Optimismus gestern nicht dämpfen, ließen jedoch durchblicken, daß sie zwei, drei Jahre mehr veranschlagen. Bereits im Sommer hatte die EU-Kommission die EU- Hilfen für Polen um 67 Millionen und für Ungarn um 34 Millionen Mark gekürzt, weil die Regierungen nicht in der Lage gewesen seien, vernünftige Projekte dafür vorzulegen. Das war zwar nur ein Bruchteil der Milliardensummen, die die EU für die Anpassung der Wirtschafts- und Verwaltungsstrukturen überweist. Aber es war ein deutlicher Hinweis auf die Schwierigkeiten in diesen Ländern.

Auch in den anderen Beitrittsländern zeichnet der jüngste Jahresbericht der EU-Kommission ein durchwachsenes Bild. Danach gebe es in Tschechien zwar weniger Probleme mit der Umstellung der Landwirtschaft, aber die Vorbereitung der Industrie auf den EU-Wettbewerb wie auch die Reform der Verwaltung gehe zu zögerlich voran. Auch bei Slowenien, vor kurzem noch als Musterschüler gehandelt, habe der Eifer nachgelassen, heißt es in dem Bericht. Über die Reihenfolge der Beitritte will sich die EU noch nicht festlegen. Das hänge von der Geschwindigkeit der Reformen und den Ergebnissen der Verhandlungen ab, meinte Verheugen. Aus politischen Gründen ist jedoch damit zu rechnen, daß zumindest Polen, Ungarn und Tschechien gleichzeitig aufgenommen werden.

Slowenien und Estland dürften aber bald nachfolgen. Die beiden Länder „sollen Pilotfunktion in ihren Regionen haben“, sagte Verheugen. Mit anderen Worten, den Nachbarn im Baltikum wie im Balkan sollte vorgeführt werden, daß es sich auszahlt, Minderheiten- und Nachbarschaftskonflikte friedlich zu lösen. Nur Zypern, das mit der wirtschaftlichen Anpassung die geringsten Probleme hat, wird kaum eine Chance eingeräumt, solange sich die zerstrittenen Landesteile nicht in irgendeiner Form zusammenraufen. Dafür könnten Länder wie Lettland oder die Slowakei, die bisher in der Warteschleife stehen, in die erste Gruppe aufrücken. Vor allem die Slowakei hat durch den Regierungswechsel enorm aufgeholt.

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