: Keine Klischee-Autonome
■ Film über das radikal-Verfahren läuft mitten in der Nacht im Kommerz-TV
„Happy Birthday, Haftbefehl!“ ist der Titel des Videos, das Bertram Rotermund und Oliver Tolmein über die Verfolgungsgeschichte der radikal gedreht haben. Anläßlich des 150. Ermittlungsverfahrens gegen die linksradikale Untergrundschrift hat das Filmer-Team deren Entwicklung seit ihrer Gründung 1976 in Berlin nachgezeichnet und dokumentiert den Stand des derzeitigen Verfahrens, das am 13. Juni dieses Jahres mit den bundesweiten „Razzien gegen Links“ mit Schwerpunkt im norddeutschen Raum begann.
Vier angebliche Mitarbeiter der radikal sitzen seit dem 13. Juni in bundesdeutschen Gefängnissen; zwei von ihnen, Andreas und Ralf, in Lübeck und Neumünster. In dem 29minütigen Streifen wird die Hamburger „Soligruppe“ zu Wort kommen, die unter anderem die Knastkundgebungen in den beiden Städten organisiert hat, ebenso werden die Rote Flora und eine spektakuläre Autonomen-Aktion am Kriegerdenkmal portraitiert.
„Ungewöhnlich“ für das links-radikale Spektrum „war, wie medienbewußt die Leute mit uns umgingen“, berichtet Filmer Oliver Tolmein, auch als konkret-Schreiber und Ex-junge Welt-Chefredakteur bekannt. „Es wollte offenbar niemand das Bild des verstockten Klischee-Autonomen mit Haßkappe reproduzieren.“
Geplant war auch ein Interview mit Ralf im Neumünsterschen Knast, aber „der Generalbundesanwalt war aus den absurdesten Gründen dagegen“, sagt Tolmein. „So habe zum Beispiel 'Verdunkelungsgefahr' bestanden, weil die Gefangenen sich immer eines 'geheimen Codes' bedienten, mit dem sie dann über den Film Botschaften vermittelt haben könnten.“
Im übrigen hätte die Gefahr bestanden, daß Ralf seine kriminalisierte „mitgliedschaftliche Betätigung“ fortgesetzt hätte, und außerdem wollte die Bundesanwaltschaft (BAW) nicht, daß „wahre Sachverhalte verzerrt dargestellt würden“. Also gab es kein Interview.
Fünf Wochen haben Tolmein und Rotermund, Gründer der Medienwerkstatt Freiburg, über die das Video auch zu bestellen sein wird, für die Dreharbeiten gebraucht. In der Nacht zu Montag um halb eins wird der Film auf Kanal 4/RTL ausgestrahlt. Über diesen Sender hoffen sie, 200.000 bis 400.000 ZuschauerInnen zu erreichen. „In den Öffentlich-Rechtlichen“, so Tolmein, „hätten wir den Film nicht untergekriegt“ – das wäre zu radikal gewesen.
Ulrike Winkelmann
Das Video ist für 50 Mark bei der Medienwerkstatt Freiburg, Konradstraße 20, 79100 Freiburg, Fax: 0761 – 70 17 96, erhältlich.
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