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Monster sind geiler als Engel Von Karl Wegmann

„Also, entweder Adventskranz oder Weihnachtsbaum, beides zusammen gibt's nicht“. Konscho hat ein Machtwort gesprochen. „Du spinnst ja“, meint sein Filius Philippe dazu. „Ein Adventskranz gilt doch nur bis zum 24. Dezember, danach ist der Weihnachtsbaum dran.“ – „Jawohl“, unterstützt ihn seine kleine Schwester Helena.

„Ist mir völlig egal“, meint Konscho, „entscheidet euch, Kranz oder Baum.“ – „Aber das gilt nicht“, sagt Philippe, der in Religion eine Eins hat. „Ähem, da hat er recht“, schaltet Willy sich ein. Die Kinder lächeln. „Aber im Grunde“, macht Willy weiter, „sind das doch alles heidnische Rituale.“ Philippe hebt die Augenbrauen und Helena fragt: „Was ist heidnische Rituale?“ – „Sich in fremde Familienangelegenheiten einmischen“, grummelt Konscho. Willy ignoriert das und fängt an zu erzählen: „Der Überlieferung zufolge stammt das Holz für das Kreuz Christi von einer Tanne. Das gab diesem Baum eine besondere Bedeutung. Mit Tannenzweigen hielt man Hexen fern, darum wurden die Zweige auch in Ställen und Scheunen über Türen und Eingängen angebracht. Sie schützten vor allen Arten von Zauber und Schaden wie etwa dem Blitzschlag.“

Die Kids hören gebannt zu, Konscho verdreht die Augen und füllt sein Glas mit Spätburgunder. „Und deshalb ist auch der Adventskranz aus Tannengrün“, sagt Willy und reckt Konscho sein Glas entgegen, „er soll die bösen Geister vertreiben, die in der Adventszeit ihr Unwesen besonders fürchterlich treiben.“ – „Cool“, entfährt es Philippe, und Helena sieht ein bißchen ängstlich aus. „Und außerdem soll er noch die Fruchtbarkeit fördern und der Erforschung der Zukunft dienen“, sagt der Weihnachtsfachmann und kommt endlich dazu, sein Glas zu leeren. „Stimmt das, Papa?“ fragt Helena. „Ach was, alles Mumpitz“, beruhigt Konscho sie. „Eben“, sagt Willy. „Quatsch“, sagt Konscho, „das hast du doch alles von Stephen King.“ – „Wie haben die das gemacht mit dem Adventskranz und in die Zukunft gucken?“ fragt Philippe. „Nun ja...“, hebt Willy an, aber Konscho ist schneller: „Schluß jetzt!“ – „Ich will gar keinen Adventskranz mehr“, behauptet Philippe daraufhin, „vielleicht kommen dann die ganzen Dämonen und Hexen zu uns. – „Nein!“ schreit Helena. „Uahhh!“ macht Philippe. „Danke“, sagt Konscho und weigert sich, Willy nachzuschenken, „jetzt brauchen wir bestimmt drei Adventskränze.“ – „Ich puste die Kerzen immer sofort wieder aus“, verspricht Philippe, „Monster sind viel geiler als Engel.“ „Nein!“ schreit Helena und Willy greift selbst zur Flasche.

In diesem Augenblick kommt Moni nach Hause. Helena sprintet los und brüllt: „Mama, Mama, Philippe und Willy wollen zu Weihnachten böse Geister und Hexen anlocken, das dürfen die doch nicht, oder?“ – „Was'n hier los?“ fragt Moni und starrt die leeren Weinflaschen an. „Geschichtsunterricht“, antwortet Willy. „Weihnachtsmärchen“, sagt Konscho. „Ah ja“, sagt Moni, „ich hab' übrigens einen Adventskranz gekauft und der Weihnachtsbaum ist auch schon bestellt.“ Konscho füllt sein Glas und Willy untersucht den Adventskranz. „Das ist keine Tanne“, sagt er, „das ist Kiefer, davor fürchtet sich niemand. „Wieso fürchten?“ fragt Moni, und Philippe strahlt.

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