: Schleierfahndung auch in der Hauptstadt
■ SPD gibt Koalitionspartner CDU nach: Polizeigesetz wird verschärft, verdachtsunabhängige Kontrollen werden eingeführt. Einschränkung: Polizeipräsident muß anordnen. SPD spricht deshalb von lageabhän
Die Große Koalition hat es plötzlich sehr eilig mit der Verschärfung des Polizeigesetzes (ASOG). Gestern haben sich CDU und SPD in einer Koalitionsrunde darauf geeinigt, das ASOG um die sogenannten verdachtsunabhängigen Kontrollen, ein Element der Schleierfahndung, zu erweitern. Bereits in der kommenden Woche will Innensenator Eckart Werthebach (CDU), der an der gestrigen Koalitionsrunde teilgenommen hatte, eine Koalitionsvorlage dazu im Senat einbringen.
Lageabhängige Kontrollen nennt man die Überwachung jetzt. Da sich die SPD der CDU-Forderung nach flächendeckender Kontrolle nicht anschließen wollte, haben sich die InnenpolitikerInnen darauf geeinigt, verdachtsunabhängige Kontrollen zwar ins Polizeigesetz zu schreiben, diese aber von der Anweisung des Polizeipräsidenten oder seines Stellvertreters abhängig zu machen.
Offen bleibt nach Angaben der Innenverwaltung, welche Lage denn verdachtsunabhängige Kontrollen gestattet. „Das ist noch nicht letztendlich definiert“, so Innensprecherin Isabelle Kalbitzer. Ebenfalls offen ist, wo dann kontrolliert werden darf. Zwar erklärte die SPD-Innenpolitikerin Heidemarie Fischer, die entsprechende „Lage“ beschränke sich auf Ausfallstraßen, doch auch hier ist nach Angaben der Innenverwaltung noch keine Festlegung erfolgt. Fischer nannte als Ziel der Kontrollen „die Schlepper- und Schleuserkriminalität“. „Wir wollen nicht die ganze Stadt mit Kontrollen überziehen“, versicherte sie. Deshalb habe man sich auch geeinigt, nicht von verdachtsunabhängigen Kontrollen zu sprechen.
Bislang darf die Polizei nicht jenseits von Verdacht oder Gefährdung kontrollieren. Ausnahmen: „gefährliche Orte“, gefährdete Objekte und eingerichtete Kontrollstellen. Der Bundesgrenzschutz hat an Bahnhöfen und Flughäfen erweiterte Kompetenzen.
Der bündnisgrüne Innenpolitiker Wolfgang Wieland nannte den Beschluß gestern Etikettenschwindel. „Eine entsprechende Lage wird es in Berlin in den kommenden Jahren immer geben. Solange das Wohlstandsgefälle existiert, werden auch Schleuser in der Stadt agieren.“ Und Ausfallstraßen seien fast alle Straßen Berlins. Außerdem befürchtet Wieland, daß sich die Kontrollen angesichts der politischen Zierichtung vor allem gegen Menschen anderer Hautfarbe richten werden. „In einer Stadt, in der sich die Diplomaten tummeln, ist das eine Katastrophe.“ Auch die PDS warnt, daß sich die Polizei „von der sozialdemokratischen Sprachkosmetik nicht zähmen lassen“ werde.
Allerdings ist mit dem gestrigen Beschluß das Polizeigesetz noch nicht an dem Ziel angelangt, an dem die CDU es sehen will: Die SPD lehnte die Videoüberwachung öffentlicher Plätze ab, die gesetzliche Legitimierung des Todesschusses, genannt finaler Rettungsschuß, ist verschoben, jedoch nicht endgültig abgelehnt. Man habe sich geeinigt, die Modelle anderer Bundesländer zu prüfen, so Kalbitzer. Barbara Junge
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