■ H.G. Hollein: Murphys Gesetz
Das Dasein, das ich führe, ist kein selbstverständliches. Zugegeben, ich habe lange gebraucht, das zu erkennen, aber nun steht es fest. Wie anders wäre sonst zu erklären, daß ein Automechaniker von zwei möglichen Lichtmaschinen die falsche einbaut und ich an der nächsten Ampel in einem alles andere als mobilen Auto sitze. Oder daß meine Steuerberaterin Netto mit Brutto verwechselt und - darob zur Rede gestellt - nichts weiter als „Oops“ zu sagen weiß. Oder daß ich nach einem Besuch bei Freunden zwar im Besitz einer überaus eleganten Jacke bin, die nur keineswegs die meine ist, derweil Paß und Flugticket am nächsten, dem Reisetag, an einem Kleiderbügel irgendwo im finstersten Barmbek hängen. Daß sich derart Sinnloses ereignen kann und darf, legt den doch wohl unvermeidlichen Schluß nahe, daß das tägliche Überleben nicht mehr ist als ein steuerloses Torkeln durch einen Sturm von Zufällen. Wer da in typisch menschlich-eitler Hoffahrt meint, dem Chaos durch Regeln und Verfahrensabläufe Herr werden zu können, der stelle sich nur einmal an eine Ampel. Die Wahl zwischen Rot und Grün sollte eigentlich auch den schlichtesten Verstand nicht überfordern, tut es aber sichtlich zuhauf. Mithin ist das erfolgreiche Überqueren einer Straße kein Ergebnis gezielt-kontrollierten Handelns, sondern die Gnade eines nicht näher definierbaren Geschicks. Die Maxime unseres Handelns sei also: „Wer auf den Lichtschalter drückt, sollte nicht unbedingt davon ausgehen, daß es auch hell wird.“ Andererseits eröffnet dieses offenbar wahllose Walten des Seins auch optimistischere Perspektiven. Jeder wird bekanntlich mit einer Rückfahrkarte geboren, und soweit wir wissen, hat sie auch noch jeder benutzt. Aber da laut Murphys Gesetz irgendwann schiefgeht, was schiefgehen kann, besteht die nicht unerhebliche Chance, zu denen zu gehören, die es irgendwie fertigbringen, den Zug zu verpassen.
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