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■ Sechs Künstler bauen im Gerhard-Marcks-Haus weiter am Turm zu Babel

Hochhäuser kippen heutzutage nur noch selten um. Manchmal schlagen sie in Erdbebengebieten Purzelbäume; oder sie nerven aufgrund von rezessionsbedingtem Leerstand. Zusammenbrechen tun dann aber die Investoren, nicht die Gebäude, da gilt es zu unterscheiden. Die wahren zivilisatorischen Katastrophen finden eher im mikroskopischen Bereich irgendwo zwischen Kernenergie, Rinderwahn und Terminbörsencrashs statt. Und dennoch: Der „Turmbau zu Babel“ ist noch immer eine weitaus wuchtigere, weitaus überzeugendere Metapher für die Folgen menschlicher Hybris als zum Beispiel das Feuer des Prometheus. Schuld daran ist Pieter Bruegel. Unüberbietbar ist die Sinnfälligkeit seiner berühmten Kegelstufenpyramide aus dem Jahr 1563. Ein kilometerhoher Koloß, auf dem die Menschen zu lächerlichen Ameisen zusammenschrumpeln: Das muß einfach schief gehen; das leuchtet jedem unmittelbar ein; da erübrigt sich jede weitere Erklärung.

Klar, daß heutige Kunst diese schlichte, markante Symbolsprache nicht mehr perpetuieren will. Welche KünstlerIn mag schon im Verdacht stehen, es sich und seinen RezipientInnen besonders leicht zu machen; da könnte ja jeder kommen und seine Statements abgeben. Nein, ein bißchen Verklausulierung und Deutungsoffenheit muß schon sein. Das Gerhard-Marcks-Haus ermöglicht nun den hautnahen, unmittelbaren, außerordentlich aufregenden Vergleich zwischen ästhetischer Sinnvermittlung einst und heute. Kurator Arie Hartog hat zwei Bremer und vier Nichtbremer KünstlerInnen eingeladen, am Turm zu Babel weiterzubasteln.

Angeregt dazu wurde die Hauscrew um Martina Rudloff durch eine architekturhistorische Ausstellung der Fachhochschule Biberach. Deren bild-same Tafeln mit Erläuterungen zum babylonischen Ischtar-Tor, den Hängenden Gärten der Semiramis und frühen Wolkenkratzerentwürfen von Otto Schubert, Hans Scharoun und Mies van der Rohe schmücken die Obergeschosse des Marcks-Hauses. Eine Etage tiefer dürfen nun die ZeitgenossInnen die Geschichte vom ewigen Höher-Schneller-Weiter und dem babylonischen Kommunikationsknäuel paraphrasieren, transformieren, variieren. Passend zum Thema der Sprachverwirrung wurden KünstlerInnen mit unterschiedlichem ästhetischen Vokabular herangezogen: Von figürlicher Holzschnitzerei über Multimedia bis zum nackten Steinblock ist alles dabei.

Trak Wendisch assoziiert zum Thema Steinpyramide jene wackel-wagemutigen Menschenpyramiden, die unter allen Zirkuskuppeln zwischen Peking und Sydney um unsere Bewunderung buhlen. Doch statt dem üblichen hierarchischen Aufbau gruppieren sich Wendischs Artisten zu einem postmodernen rhizomatischen Geflecht. Doch trotz humanem Strukturalismus: Einen habermasschen gewaltfreien Dialog gibt es nicht. Die Konstruktion bleibt gefährlich und ungerecht. Einige der etwa 50 pompeianisch-untergangsroten, kahlen, nackten, dürren Holz-Giacomettis ächzen scher unter der Last der anderen. Wie antike Karyatiden sind sie zur Bewegungslosigkeit verdammt. Andere dagegen genießen in betender Haltung die Höhenluft oder turnen verspielt: Freiheit, Jux und Tollerei basiert auf dem Schweiß der anderen. Wer denkt da nicht sofort an die diversen Befruchtungs- und Behinderungsverhältnisse in Familie, Arbeitswelt und Politik. Immaterielle Strukturen sind überzeugend in räumliche transformiert.

Weniger glücklich agiert Marianne Klein bei der sinnlichen Umsetzung ihrer Ideen. Mit fulminantem Arbeitsaufwand weist sie jedem der 197 existierenden Staaten zum Teil maßstabsgetreu ein Mittelding aus Verpackungsmaterial und Ziegelstein zu. Aus dreißig dieser Quader konzertieren unterschiedliche Sprachen miteinander. Der Komponisten M. Rayher hat dafür 30 Bremer AusländInnen Zahlen, Gedichte und mehr aufsagen lassen. Als Hymne an die Vielfalt menschlicher Kulturen will die Künstlerin ihre Arbeit verstanden wissen. Doch was wir sehen ist ein Sammelsurium grauer Kisten, die beliebig und lieblos wie überflüssiger Ramsch in einem Aldisupermarkt gestapelt sind. Völlig undenkbar, daraus eine tragfähige, schöne Turmalternative zu bauen. Die Stimmen vermischen sich zu einem Hintergrundgeplätscher. Das Individuum ist ausgelöscht. In einer anderen Arbeit reiht die Künstlerin unter einem Glassturz identische Plastikschafe aneinander. „Dolly“ will vor Gleichmacherei warnen. Zwischen allzugroßer Vagheit hier und allzugroßer Eindeutigkeit dort gibt es wenig Raum zum Nachdenken.

Jens Trimpin denkt sprachtheoretische Aphorismen Wittgensteins weiter. Auf spiegelnden, grabesplattenglatten, schwarzen Tafeln theoretisiert er über die eindeutig nichtschwarze Farbe Rot oder über Farblosigkeit. Passend zu dieser Hinterfragung von Theorien gruppiert er Steinmonster, die vom stärksten Zyklopen nicht verbaut werden könnten.

Gunther Gerlach schummelt sich um das Thema herum. Seine wunderschönen, verkohlten, ruppig behauenen Holzkugeln ruhen in zwei Durchgängen des Museums selbstsicher und alterwürdig wie Eiszeitfindlinge. Für die schnöde Verwertung als Baumaterial scheinen diese „Planets & Monuments“ untauglich. Am Ende ist alles Asche? Die runde Natur verweigert sich den rechten Winkeln? Der Betrachter kann sich hier denken, was immer er will: die beste Voraussetzung, daß er gar nicht will. Joseph Semahs niedergemeuchelte, geköpfte, verkabelte Hundeschar wirkt eher wie ein plump-diffuser Kommentar zum Tierschutz als zu menschlichem Größenwahn. Erst unter Hinzuziehung kundiger Erläuterungstäfelchen über die Doestizierung des Hundes, ein asiatisches Alphabet und den Universalismus von Geometrie erschließt sich diese beeindruckende bodenkriechende Installation.

Auch Dietrich Klinge umkreist das Thema mit einem Maß an Offenheit, das überfordert. Und das, obwohl ein Marter- oder Denkerpfahl sich „Lust“ nennt. Faszinierend allerdings ist, wie Bronze hier schrundiges Holz imitiert.

Alle Arbeiten sind ästhetisch außerordentlich beeindruckend. Obwohl sie sich allesamt sehr konzeptuell geben, tun sie sich jedoch durch die Bank schwer, ihr Thema sinnlich faßbar zu machen. So avantgardistisch Kleins Arbeit tut. Über ein simples Bekenntnis zu Multikulti geht sie kaum hinaus. Ausgerechnet die „konservativste“ Arbeit, die Holzmenschen von Trak Wendisch, denken mit formalen Mitteln Inhalte schlüssig und komplex weiter. Trotzdem: Nichts ist spannender als solch eine thematische Ausstellung. . bk

Bis 24. Februar

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