piwik no script img

Angst essen Kinosäle

Angriff der Multiplexkinos auf Planet Erde: Flebbe ist Godzilla, seine Waffe ist das tödliche „Overscreening“  ■ Von Andreas Becker

Jetzt geht's einigen wirklich an den Kragen. Die deutschen Kinobesitzer kämpfen ums Überleben. Wir stehen vor dem größten Kinosterben seit den Sechzigern. Klingt zu dramatisch? Ist es aber nicht.

Jedenfalls wenn man der unlängst in Köln und beim Hamburger Filmfest vorgestellten Studie zur zukünftigen Kinoentwicklung glaubt. Die im Auftrag mehrerer deutscher Filmförderanstalten erstellte Modellkalkulation von RMC medien consult rechnet bis 2003 mit einem weiteren Anstieg der Kinobesucherzahlen um etwa 35 Prozent auf bis zu 200 Millionen jährlich. Spätestens dann werden einige Kinobesitzer multiperplex sein, denn: 80 von 100 Besuchern werden ihren Film in einem Multiplex gesehen haben (heute liegt der Anteil der Mega- und Multiplexe bei rund 25 Prozent). Die 200 Millionen dürften allerdings nur erreicht werden – Zielgruppenstrategen staunen –, wenn auch die ältere Generation den Weg aus dem Wohnzimmer in die THX- Popcorn-Höllen wagt.

In der Studie wird die Zuschauerentwicklung zwischen 1991 und 1997 in sieben Kinoregionen analysiert. Den größten Zuwachs mit teilweise 100 Prozent erzielten die ländlichen Kinos. Hier entstanden oftmals billige Blechkarton-Abschreibungskinocenter, die sich als Multiplexe ausgeben, aber nicht deren Standard erreichen. Dafür stehen diese Dinger für Auto-Einkäufer prima erreichbar auf der Ex-grünen-Wiese, neben Waschstraßen und Tenniscentern – gern auch im Osten (zum Beispiel „bei“ Brandenburg-Stadt).

In den Großstädten sind die Zuschauerzuwächse geringer, der Verdrängungswettbewerb aber um so härter. Auf der Todesliste stehen auch die von aufrechten Kinofreunden immer schon gehaßten Kinocenter der 60er und 70er Jahre. Die ehemals prächtigen Filmpaläste verschandelt und verschachtelt hat vor allen anderen die UFA (nicht identisch mit der Bertelsmann-UFA), jahrelang Marktführer in der BRD. Wohl niemand in Deutschland hat so viele Kinos kaputt gemacht wie Ex-Kinokönig Riech. Neuerdings benennen die Mainstream-Riecher ihre Kinos in „Arthouse“ um. Den Begriff hat man sich rechtlich schützen lassen.

Die etablierten Kinos verbuchen in Städten mit einem vergleichbaren Filmangebot in Multiplexen etwa 50 Prozent Zuschauerverluste. Nicht selten schließen die bösen Schachtelonkels ihre Center am gleichen Tag, an dem das erste Multiplex um die Ecke aufmacht. Schwer erwischt hat es die noch überlebenden Mittelständler unter den Betreibern. Die können ihre Sitze noch so sehr polstern und den neuesten Dolby- Kram installieren – meist helfen hier nur noch Kampfpreise, um die fünf Mark pro Karte. Ansonsten sind nicht mal mehr Heizung und Miete finanzierbar.

Die Studie sieht für 2003 ein Potential von 10 Prozent für „Nischenkinos“ und ebenfalls 10 Prozent für „Programmkinos/Arthäuser“. In Regionen ohne Studenten oder Hardcore-Cineasten dürfte auch das noch zu optimistisch sein. Schon heute versucht man in Berlin krampfhaft die Zahl von etwa drei Kinobesuchen pro Jahr pro Bürger zu übertreffen. In Freiburg (Uni) liegt der Durchschnitt bei über dem Doppelten. Für Hamburg rechnet die Studie mit dem Faktor 4,6 Filme pro Mensch pro Jahr. Von dort derzeit 81 Leinwänden werden 30 bis 40 verschwinden. Prognostiziert werden bis zu 70 Multiplexsäle an der Elbe.

Sogar den Multiplexen der ersten Generation räumt man mittelfristig schlechte Perspektiven ein. Zunehmend werden Standortfaktoren, angenehmes Ambiente und Image für wirtschaftlichen Erfolg entscheidend. Das erste Multiplex des Marktführers CinemaxX in Bremen zum Beispiel kann mit einem formidablen Saurier im vier Stockwerke hohen Eingangsbereich aufwarten. Den hat man sich vom gegenüberliegenden Überseemuseum ausgeborgt. Die Pleitestadt war sogar bereit, das erste Bremer Multiplex indirekt zu subventionieren, weil Teile des Museums im CinemaxX Platz finden sollen.

Der Hannoveraner CinemaxXimalist Flebbe (Sie kennen sein Winner-Face aus der Microsoft- Werbung) ist spätestens seit der Eröffnung seiner 19 Säle am Potsdamer Platz der neue Little Big Man des Business. Marktanteil: zur Zeit 27,3 Prozent bei Multiplexen. In Berlins Daimler-City hat er gerade den 1.800-Plätze-Stella- Musical-Saal zum Kino umfunktioniert, bis hier 1999 die ersten Touristenmusicals laufen. Flebbe war geschickt genug, 1998 die CinemaxX-Anteile von Pleitier Deyhle (Stella AG) zurückzukaufen. Jetzt läßt er den Stuttgarter am Potsdamer Platz fast höhnisch grüßen: „CinemaxX zu Gast bei Stella“ heißt es auf einem Transparent überm Eingang.

Das Geld für seinen Expansionsdrang – Projekte in der Schweiz und Österreich sind geplant und im Bau – besorgte sich Flebbe mit einem lockeren Marsch an die Börse. Natürlich im Sommer, als die Kurse noch stimmten. Wenigstens ist dem schlauen Flebbe an gesunden Stadtstrukturen und weniger Autoverkehr gelegen: Seine Multiplexe stehen oftmals in der Nähe großer Bahnhöfe und „werten das Umfeld auf“. Das kann man von denen der Konkurrenz von UFA, UCI oder Warner durchaus nicht immer behaupten. „Overscreening“ lautet der neue Horrorbegriff der Branche. Off- Kinos verlieren schleichend Stammpublikum. Angst essen Kinosäle.

Schon jetzt wird überlegt, was man aus den ersten, bereits unmodernen Multiplex-Investitionsruinen von Anfang der neunziger Jahre außer Popcorn-Höllen mit Großleinwand sonst noch machen könnte. Wo die Lage nicht stimmt, sitzen die Kreditgeber der Investmentfonds schon in den Startlöchern, um Ärger zu machen. Die abgestuften Betonburgen aber eignen sich eigentlich höchstens noch als Atombunker – und die sind leider out: „Eine spätere Umnutzung in Bürogebäude sei zu aufwendig und teuer. Solche Planungen dienten eher als Beruhigungspille für die Banken“ (Berliner Zeitung, 17.Oktober 1998).

Wer keinen Pizzahut aufhat, der muß seinen Independence Day wohl bald allein ertragen: Nur noch 62 Prozent der Einnahmen erwirtschaften die neuen Megakinos mit dem Verkauf von Kinokarten. Merkwürdigerweise gibt es bei der traditionellen mittelständischen Konkurrenz immer noch Kinos, die nicht mal einen Getränke- Kühlschrank besitzen. Leute wie der (noch) nicht arme Berliner Georg Kloster (Yorck-Kino-Kette) haben scheinbar keine Chance beim Multiplex-Poker. Klosters Versuche, in geplante Multiplexe einzusteigen, scheiterten allesamt.

Finanzjongleure halten den Bau von mindestens noch 60 Multiplexen in Deutschland für nötig oder möglich. Freuen wir uns auf die Renaissance der Schmuddelvideothek. Diese lustigen Läden hatten in den letzten Jahren große Einbußen. Interessante Kinofilme: demnächst vielleicht nur noch auf Video. Zu Hause mit Freunden rumhängen ist eh der korrekteste Trend. Nette Programmkinos wie das Berliner Moviemento sollten sich schleunigst etwas überlegen. Köpfe im Bild, laut röhrende Belüftungsungetüme, dreckige Klos und enge Foyers werden einige auch für den schönsten Ken- Loach-Film nicht mehr lange akzeptieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen