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■ Schleyerhaft: Die Weltsprache des Pfarrers Johann Martin SchleyerVolapük lebt!

„Sollte sich irgendwo ein Unterrichtsminister finden, Volapük in den Schulen einzuführen, so proklamiere ich für die gesamte Schuljugend dieses Staates auf das Recht auf Revolution!“ wetterte der Sprachphilosoph Fritz Mauthner im Jahr 1906. Der überzeugte Feind aller Kunstsprachen hätte sich die Aufregung sparen können: Schon kurze Zeit später war nämlich die „Weltsprache“ Volapük, die der Pfarrer Johann Martin Schleyer aus Lauda 1879 in Konstanz „zum Wohle der zerklüfteten Menschheit“ erfunden hatte, weitgehend vergessen.

Dabei hatte es nicht schlecht angefangen: Am Ende des letzten Jahrhunderts gab es weltweit rund 300 Volapük-Gesellschaften, 1.600 Personen erwarben ein „Volapük- Diplom“, und bis zu eine Million Menschen hatten Grundkenntnisse der „Universalsprache für alle gebildeten Erdbewohner“. Mehr als 1.000 Bücher und 50 Zeitschriften erschienen in dem von den Zeitgenossen als „schleyerhaft“ verspotteten Idiom. In Friedrichshafen, München und Paris wurden internationale Volapük- Kongresse veranstaltet. Dann aber zerstritten sich die „Volapükisten“. Halsstarrig lehnte Schleyer alle Reformvorschläge zur Verbesserung seiner Sprache ab. Die meisten seiner Anhänger liefen deshalb zu anderen Kunstsprachen über – meist Esperanto. Volapük wurde so schon vor Schleyers Tod im Jahr 1912 zu einer Sprache, die zwar einige 100.000 verschiedene Verbformen hatte – aber nur ganz wenige Sprecher.

In den 20er und 30er Jahren hatte Volapük noch einmal ein kurzes Revival. Der holländische Militärarzt Arie de Jong veröffentlichte ein umfangreiches Wörterbuch „Deutsch-Volapük“ und reformierte die Sprache. Beispielsweise führte de Jong das R in das Volapük-Alphabet ein. Schleyer hatte auf das R verzichtet, weil er den Chinesen helfen wollte – deshalb machte er zum Beispiel aus „Bruder“ das Wort „Blod“. Dummerweise stellte sich heraus, daß die Chinesen sehr wohl ein R sprechen können – während die Japaner ausgerechnet mit dem L Probleme haben.

Langfristig halfen aber auch de Jongs Verbesserungen nicht weiter. In Nazideutschland wurde Volapük (wie auch Esperanto) kurzerhand verboten. Nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen zwar noch einige Volapük-Zeitschriften, die Kunstsprache kam aber nie mehr so richtig in Mode.

In Konstanz erinnern heute an Johann Martin Schleyer nur noch eine Straße, zwei Gedenktafeln an seinen ehemaligen Wohnhäusern und ein „Volapük-Café“. Die meisten Schleyer-Souvenirs wurden dem Schleyer-Gymnasium und dem Museum Lauda übergeben. Die Bibliothek des Spracherfinders wurde von seinem Großneffen, dem 1977 ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, aufgekauft – sie befindet sich jetzt im Besitz der Familie Schleyer in Stuttgart.

Anderswo aber gibt es tatsächlich noch „Volapükisten“, die Schleyers Sprache pflegen. „Ich selbst kenne rund 30 davon“, berichtet der französische Sprachforscher André Cherpillod, der 1993 eine neue Volapük-Grammatik veröffentlicht hat. „Das sind nicht unbedingt alte Leute. Ich selbst bin zwar schon 65, die drei anderen Volapükisten in Frankreich zum Beispiel sind aber zwischen 30 und 50 Jahre alt.“

Als „Fokus für die Volapük- Forschung und als Verbindungsstelle für Volapük-Sprecher“ wurde in England 1979 zur Hundertjahrfeier sogar ein „Volapük- Zentrum“ mit Bibliothek eingerichtet. „Wir haben keine richtige Mitgliedschaft, sondern sind eine lose Vereinigung von Menschen, die auf Volapük korrespondieren und seine Kultur bewahren wollen“, erklärt Brian R. Bishop, Direktor des Zentrums und siebter „Cifal Volapükamufa“ („Präsident der Volapük-Bewegung“).

Ebenfalls in England gibt es die Gruppe „Internationale Freunde der Weltsprache“. Sie gibt nicht nur Wörterbücher „Englisch-Volapük“ heraus, sondern auch jeden Monat den Sirkülapenäd („Rundbrief“) mit mehr oder weniger aktuellen Texten. In der letzten Dezember-Ausgabe fand sich zum Beispiel der Text von „Neit Stilik“ („Stille Nacht“).

„Im Jahr kommen wir auf rund 100 Sirkülapenäd-Seiten“, sagt Herausgeber Ralph Midgley. „Diese Publikation ist ganz auf Volapük geschrieben. Man muß die Sprache ausreichend beherrschen, um sie lesen zu können. Deshalb bieten wir einen Volapük-Schnellkurs mit zehn Lektionen an. Ich schicke den Schülern eine Lektion, sie machen die Übungen, schicken sie zurück, ich korrigiere und schicke die nächste Lektion. Dieses System ist gut und bequem.“ Martin Ebner

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