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Japaner fühlen sich von China bedroht

■ Tokios verweigerte Kriegsentschuldigung ist mangelhafte Vergangenheitsbewältigung und Reaktion auf Chinas Machtansprüche

Tokio (taz) – George Wehrfritz, der Büroleiter des Nachrichtenmagazins Newsweek in Tokio, wundert sich: „Warum sind die japanischen Großkonzerne nicht in der Lage, ihre Regierung zu einer Entschuldigung zu überreden, die sie nichts kostet und obendrein den chinesischen Markt öffnet?“ Mit Wehrfritz rätselte gestern die ganze Welt, warum die Japaner einer klaren Entschuldigung für ihre im und vor dem Zweiten Weltkrieg in China begangenen Kriegsverbrechen widerstehen, wo doch jeder vernünftige Mensch eine solche Entschuldigung aus Sicht einer demokratischen Regierung, wie sie Japan seit über 50 Jahren hat, für die natürlichste Sache auf Erden halten würde.

Doch wer so denkt, kennt die japanischen Liberaldemokraten schlecht. In ihrer Partei gilt noch immer das Senioritätsprinzip, und unter ihm haben die Alten das Sagen. Leute wie Kiichi Miyazawa, der 79jährige Finanzminister, der als junger Beamter dem Friedensschluß zwischen Japan und den USA im Jahr 1952 in San Francisco beiwohnte. Damals entschied Miyazawa für sich, daß Japan vom Sieger über den Tisch gezogen wurde. Jetzt soll ihm so etwas nicht noch einmal mit China passieren.

Es käme Liberaldemokraten wie Miyazawa gar nicht in den Sinn, länger über die moralische Dimension einer Entschuldigung nachzudenken. Sie empfinden wenig Reue über die nach chinesischen Quellen rund 20 Millionen Menschen, die Japans Besetzung der Mandschurei ab 1931 und dem Feldzug japanischer Truppen ab 1937 zum Opfer gefallen sind. Wegen der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki sehen viele Japaner ihr Land in erster Linie selbst als Opfer.

Für Politiker wie Miyazawa ist Politik ein taktisches Tagesgeschäft, dessen Gesetze die Macht diktiert. Und siehe da: So schwach, wie Japan derzeit den Finanzhaien erscheint, ist es eben nicht. Was hatte Peking denn als Gegenleistung für eine erneute Entschuldigung zu bieten? Nichts aus japanischer Sicht. Statt dessen zahlt Tokio weiter munter Entwicklungshilfe, obwohl die japanischen Konzerne in China nach Jahren riesiger Investitionen immer noch nichts verdienen.

Kommt hinzu, daß Peking schon Weltmacht spielt, obwohl es soviel Macht noch gar nicht besitzt. Offensichtlich stellen die Chinesen ihr Verhältnis zu den USA und Rußland über das mit Japan. Erst nachdem Jiang Zemin „strategische Partnerschaften“ mit den beiden anderen großen Pazifiknachbarn begründete, kam er nach Tokio. Dabei ist Japan Chinas wichtigster Wirtschaftspartner. Sollen sie die Chinesen doch erst einmal begreifen, wem sie heute was zu verdanken haben!

Chinas Powerplay mit anderen Mächten behagt zudem nicht nur den Liberaldemokraten, sondern auch der Mehrheit der Japaner nicht. Über die Hälfte der befragten Japaner empfindet China nach Auskunft des japanischen Premierministeramts als Bedrohung – ein Meinungstrend, der sich nach der Raketenkrise um Taiwan im Frühjahr 1996 verschärft hat. Damals feuerte Peking Testraketen ins Seegebiet um die taiwanische Insel. Hat es sich dafür je entschuldigt? fragen manche Japaner.

Damit aber ist der Schaden schon angerichtet. So schnell wird kein chinesischer Präsident mehr nach Japan kommen, um ein neues Jahrhundert der Partnerschaft zwischen beiden Ländern zu verkünden. Eine Chance von der Größe wurde vertan, wie sie 1963 Deutschland und Frankeich beim ersten Besuch de Gaulles bei Adenauer nutzten, als beide den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag unterzeichneten, einen Meilenstein auf dem Weg zur europäischen Einigung. Georg Blume

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