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Im Standesamt klicken die Handschellen

■ Den verstärkten Kampf gegen Scheinehen verstehen einige Standesämter als Aufforderung zu gesetzeswidrigen Handlungen. In Wedding wurde ein Türke im Standesamt verhaftet. Datenschutzbeauftragter will

Seitdem Standesbeamte verpflichtet sind, verstärkt gegen Scheinehen vorzugehen, überschreiten einige im Eifer des Gefechts ihre Kompetenzen auf eklatante Weise. Statt, wie im neuen Eheschließungsrecht seit Juli dieses Jahres festgelegt, lediglich die Mitwirkung zu verweigern, wenn offenkundig keine „eheliche Lebensgemeinschaft“ gegründet werden soll, verlangen sie für die Eheschließung – entgegen einer Weisung der Innenverwaltung – eine Aufenthaltsgenehmigung oder informieren gar die Polizei.

Am Dienstag endete die Aufgebotsbestellung eines 29jährigen Türken, der mit seiner deutschen Verlobten beim Standesamt Wedding erschienen war, mit einer Festnahme. „Die Polizei wurde... vom Erscheinen des Verlobten... unterrichtet, so daß die Festnahme vor Ort im Standesamt erfolgte“, teilte Amtsleiter Matthes der Verlobten schriftlich mit. Die Begründung: „Ich muß davon ausgehen, daß die Ehe nur geschlossen werden soll, um dem Verlobten zu einer Aufenthaltsgenehmigung zu verhelfen.“

Zuvor hatte das Standesamt schon widerrechtlich gehandelt, indem es für die Aufgebotsbestellung eine gültige Aufenthaltsgenehmigung verlangt hatte. Nach einer Weisung der Innenverwaltung ist jedoch ein illegaler Aufenthaltsstatus kein Hinderungsgrund für eine Eheschließung, sofern der Betreffende legal eingereist ist. Der türkische Mann ist vor drei Jahren legal nach Deutschland gekommen. In der Weisung heißt es, daß die Senatsverwaltung „von ihrer früheren Auffassung hinsichtlich einer Ausweisung wegen illegalen Aufenthalts... abgewichen ist“. Begründung: Diese sei mit dem „Schutzgedanken des Artikel6 des Grundgesetzes“, dem Schutz der Familie, und dem „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ nicht zu vereinbaren. Das deutsch-türkische Paar lebt seit geraumer Zeit zusammen, der Mann ist für die Kinder seiner Verlobten zu einem Vaterersatz geworden.

Das besonders Perfide an dem Fall ist, daß die Verlobten geradezu in eine Falle gelockt wurden. Nachdem Anwalt Peter Meyer das Standesamt darauf aufmerksam gemacht hatte, daß eine Aufenthaltsgenehmigung nicht erforderlich ist, wurde ihm vom Amtsleiter mitgeteilt, daß „ein fehlender Aufenthaltstitel“ sehr wohl die Vermutung aufkommen lasse, daß es sich um eine Scheinehe handeln könnte. Das Schreiben endete aber mit der Zusage, daß der Verlobte den Antrag auf Eheschließung „auch ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung stellen kann“. Als das Paar zu dem Termin erschien, klickten die Handschellen. „Seit der neuen Vorschrift“, so Anwalt Meyer, dem weitere Fälle bekannt sind, „flippen verschiedene Standesbeamte aus.“ Die stellvertretende Datenschutzbeauftragte, Claudia Schmid, erklärte, die Vorwürfe prüfen zu wollen. Keinesfalls dürften Standesbeamte „ins Blaue hinein“ von einer Scheinehe ausgehen. Demnächst sollen alle Standesämter über die Rechtslage informiert werden. Barbara Bollwahn de Paez Casanova

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