■ Schröder und Fischer wollen die Nato-Atomwaffendoktrin ändern: Nicht einknicken
Deutschland ist Nichtkernwaffenstaat. Es hat daher das Interesse, die politische und militärische Bedeutung der Kernwaffen zu minimieren. Kernwaffenstaaten haben andere Interessen. Konflikte sind also unvermeidlich. Die muß man aushalten.
Kernwaffenstaaten haben die Neigung, sich jede Einrede in ihre Nuklearpolitik zu verbitten. Nur: Über die Nato hängen alle Alliierten „mit drin“. Und: Im Atomwaffensperrvertrag haben sich alle Nato- Länder zur nuklearen Abrüstung verpflichtet. Die Ersteinsatzoption – ohne Feind, ohne Bedrohung, also ohne Sinn – läuft dem Nichtverbreitungsprinzip direkt zuwider. Sie gibt das denkbar schlechteste Beispiel für Länder, die mehr Sicherheitsprobleme haben als der Westen. Wer auf diese Option auch unter besten Umständen nicht verzichtet, will nicht abrüsten. Mit dieser Haltung vertieft man die Spaltung innerhalb der Mitglieder dieses für die Weltordnung so wichtigen Vertrages. Kernwaffen erfüllen alle Kriterien „inhumaner Waffen“, die geächtet sind, wie Dumdumgeschosse, Brandwaffen, B- und C-Waffen. Der Internationale Gerichtshof hat folgerichtig „im allgemeinen“ die Völkerrechtswidrigkeit des Atomwaffeneinsatzes und seiner Androhung festgestellt. Stützt man jedoch die eigene Sicherheit auf die Ungewißheit, die die Allgemeindrohung mit einem möglichen Kernwaffeneinsatz beinhaltet, so handelt man dieser Rechtsauffassung direkt zuwider.
Die US-Regierung hat unter dem Druck der erzkonservativen Kongreßmehrheit die Tendenz, Rüstungskontrolle und Abrüstung als Mittel der Sicherheitspolitik abzuwerten. Deutschland und andere Nato-Länder sehen das ganz anders. Wenn man in der Frage des Ersteinsatzes beim ersten Gegenwind einknickt, stützt man diese gefährliche Tendenz.
Das jetzige strategische Konzept der Nato stammt von 1991. Schon damals war es unzeitgemäß, am Ersteinsatz von Kernwaffen festzuhalten, einer Position, die aus den Zeiten stammte, als die Sowjetunion bis an die Zähne bewaffnet in der früheren DDR stand. Die Sowjetunion gibt es nicht mehr. Die Nukleardoktrin unter diesen Umständen zu tabuisieren ist ein Hohn auf den gesunden Menschenverstand. Die Zukunft der Nato hängt an vielem, aber bestimmt nicht an ihrer gegenwärtigen Nukleardoktrin. An ihr mit Klauen und Zähnen festzuhalten entspricht der Abwehrhaltung fossiler Nuklearideologen in den Kernwaffenstaaten. Gegenüber grobem Unfug ist niemand zur Nibelungentreue verpflichtet. Harald Müller
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