: In leeren Hüllen überleben
Zuweilen muß man auch die Kunst erst anschalten: Zwei Studentenausstellungen im Kontorhaus und in der Stiftung Starke beschäftigen sich mit Medienkunst ■ Von Tilman Baumgärtel
An einem Wochentag kurz nach 14 Uhr. Ort: der überdachte Innenhof eines dieser gesichtlosen Nachwende-Bürobauten an der Friedrichstraße. Eigentlich soll hier eine Ausstellung mit dem Titel „slash temp“ zu sehen sein, die Arbeiten von StudentInnen der Leipziger Hochschule für Graphik und Buchdruck zeigt. Aber bisher sind nur tote Fernseher und nicht funktionstüchtige Dinge zu besichtigen. Die Kunst muß erst noch angeschaltet werden.
Der Pförtner, der in einem Glaskasten am Eingang herumlungert, weiß nichts Näheres: „Irgendwann kommt ein Student und macht die Sachen an“, und nein, im ganzen Haus gibt es sonst niemanden, der weiterhelfen kann. „Kommse doch einfach noch ma' wieda!“ So führt Kunst im öffentlichen Raum ihren eigenen Anspruch ad absurdum. Ein paar Passanten, die zum Reisebüro an der Stirnseite des Atriums wollen, bleiben kurz vor den bildlosen Monitoren stehen, die sich nicht als Kunst outen wollen; ein Fahrradkurier mit gelber Umhängetasche macht einen Bogen um eine der Bodenskulpturen von Bernhard Schipper.
Die sind neben Diane Müllers „110“ die einzigen Arbeiten, die auch ohne Stromzufuhr und außerhalb der Öffnungszeiten funktionieren: Schipper hat Kautschukabgüsse von seinem Körper gemacht. Als „Überlebende des neuen Berlins“ liegen sie in Fetzen auf dem Boden – als habe sie jemand aufgeblasen und dann platzen lassen. So sind die leeren Hüllen auch die einzige Arbeit, die wenigstens als indirekter Kommentar zu der anonymen Protzarchitektur der „Neuen Friedrichstraße“ funktionieren.
Schließlich hat der herbeigeholte Verkäufer aus dem benachbarten Fernsehgeschäft den Einschaltknopf an dem riesigen Fernseher in der Lobby gefunden. Nun enträtseln sich auch einige der anderen Arbeiten: Die Fahnenstangen-Installation „Ständige Vertretung“ von Silke Koch gibt plötzlich ein klapperndes Geräusch von sich, als wären an den leeren Masten tatsächlich Fahnen an Drahtseilen befestigt – der Betrachter kann den „Leerstand“ mit eigenen Assoziationen füllen.
Die Aluminiumkiste mit Bildschirm ist Michaela Sadlowskis Videoinstallation „Leipzig–Paris“, bei der eine Stewardeß im Flugzeug beim Abflug merkwürdige „Rettungswürmer“ vorführt. Und in einem ausgehöhlten Computermonitor wächst eine seltsame Gießharz-Pflanze: Hilko Neuperts „ID_hybrid“ (http://www.hgb- leipzig.de/hilko/id_hybrid) ist eigentlich eine Internetarbeit, bei der dem User online sein persönliches, virtuelles Gewächs errechnet wird. Weil solche Arbeiten im physischen, nichtvirtuellen Raum kaum zu vermitteln sind, hat Neupert eine dieser Pflanzen nachgießen lassen und stellt dem Betrachter Disketten mit seiner Arbeit zum Mitnehmen zur Verfügung – auch eine Art, Netzkunst jenseits des Cyberspace zu zeigen.
Ortswechsel von der „Neuen Mitte“ Berlins in den alten, traditionell gutbetuchten Westen. An der Königsallee, die sich ab dem Halensee an immer luxuriöser werdenden Privathäusern vorbei Richtung Grunewald windet, liegt die Villa der Stiftung Starke, in der zur Zeit ehemalige und derzeitige StudentInnen von Rebecca Horn ausstellen. Viele der Arbeiten zu „Indoorgames“ erinnern dann auch an die Werke der Künstlerin, die seit knapp zehn Jahren Professorin an der HdK ist.
Die Installation von Nina Rhode, Mitglied der Berliner Spektakelkunstgruppe Honey- Suckle Company, ist den poetisch- surrealen Jungesellinnen-Maschinen von Horn näher, als es ihrer Schöpferin vielleicht selbst bewußt ist. Aus dem Mund eines überlebensgroßen Fotoporträts von Rhode kann der Betrachter Tennisbälle herausballern lassen. Wäre da nicht ein Netz, würde man sie direkt ins Gesicht bekommen.
Andere Arbeiten erinnern an die melancholischen Großinstallationen von Rebecca Horn aus den 80er und 90er Jahren: In der Arbeit von Viola Wisnieckwski schwingt eine mit weichen Wachskacheln beklebte Glasplatte über dem Betrachter, in Natalie Hockes Installation „Skulpturen sind Raumschiffe“ hängt ein Ast von der Decke und deutet auf ein kauziges Gipsobjekt, während am Fenster ein Hälmchen in einem Glas Wasser vor sich hin mickert.
Leicht ins Herz zu schließen ist dagegen Johannes Berchtholds Videoarbeit „Was machen meine Eltern eigentlich, wenn ich nicht zu Hause bin?“, wo ein ähnlich absurder Haushalt geführt wird wie bei Anna und Johannes Blume. Die Eltern klopfen mit der Klobürste an die Tür oder lassen immer wieder das Abwaschwasser ablaufen.
„Indoorgames“ bezieht einen großen Teil seines Reizes daraus, daß die gezeigten Arbeiten wirklich in dem etwas angegammelten Inneren der Villa der Stiftung Starke aufgehen, man manchmal nicht weiß, wo die Installation aufhört und das Kellergerümpel anfängt. Wenn das Haus demnächst komplett renoviert wird, könnte dieser Charme dahin sein.
„Slash Temp“. Bis 18.Dezember im Kontorhaus, Friedrichstr. 185–190 (täglich 14 bis 20 Uhr)
„Indoorgames“. Bis 13.12. in der Stiftung Starke, Königsallee 30/32, Berlin-Grunewald (täglich 14 bis 19 Uhr). Homepage: http:// ourworld.compuserve.com/homepages/stiftungstarke/hdk_horn.htm
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