: Schnitte gegen die geistige Vergiftung
■ Rock 'n' Roll und kritische Songtexte sind sowieso verboten. Sie schaden bloß der Jugend, heißt es. Aber auch nackte Rücken, ein exzentrisches Make-up, lange Haare bei Männern oder kurze bei Frauen finden vor den chinesischen Fernsehzensoren keine Gnade. Eine junge TV-Musikredakteurin berichtet, mit welchen Tricks „ungesunde“ Videoclips moralisch korrekt „repariert“ werden
Der nackte Rücken von Sade ist im Beijing Fernsehen (BTV) nicht zu sehen. Das liegt nicht daran, daß die Musikerin zwei verschiedene Video- clips, einen für die westliche Welt und einen für China, produziert hat. Vielmehr wird die Zurschaustellung nackten Fleisches in China grundsätzlich aus den Clips herausgeschnitten. In den TV-Popsendungen im Reich der Mitte ist nur das zu sehen, was den Moralkodex der Zensoren entspricht.
Denn: „Bei Zensur geht es nicht allein um die Musikrichtung“, sagt Li, eine junge Fernsehredakteurin, die zwischen Jobs in Hongkong und China hin- und herpendelt. „Rock 'n' Roll geht überhaupt nicht, aber auch mit weicherer Musik kriegen wir Ärger, wenn die Musiker nicht das ,richtige' Aussehen haben. Bestimmte Körperteile sind verbotener als andere, und Nacktheit ist überhaupt nicht erlaubt.“
Li erlebt heute, was viele Rundfunk- und Fernsehleute in Europa und den USA aus den sechziger Jahren kennen: Es geht um Haare. „Wir dürfen keine Bands zeigen, in denen Männer mit langen oder Frauen mit sehr kurzen Haaren, Ohrringen oder exzentrischem Make-up auftreten.“ Solche bizarren Fernsehbilber schaden nach offizieller Lesart der chinesischen Jugend. „Frauen haben in China in der Regel langes Haar, und wer sein Haar schert wie ein Mönch, wird als sehr skurril angesehen. Bei Männern sind lange Haare als ,ungesund' verschrien. Und Bilder von Gewalt können wir auch nicht zeigen. Alles in allem geht es bei der Zensur der Videos mehr um die Bilder als um die tatsächliche Musik.“
Als Verantwortliche für die populärsten Popshows im BTV ist Li zur Expertin dafür geworden, verbotene Bilder durch unverfängliche zu ersetzen. Wenn in einem Videoclip nur wenige solcher anstößigen Szenen vorkommen und die Musik selbst akzeptabel scheint, sei das gar nicht so schwer. „Wir benutzen andere Sequenzen desselben Videos und reparieren damit die rausgeschnittenen Teile. Man hat ja die Musik und muß deshalb nur die Sekunden zählen, die man mit dem Bild rausgeschnitten hat; dann wird das Loch mit akzeptierten Bildern gefüllt.“
Li persönlich hat einen sehr viel toleranteren Geschmack, und doch muß sie als Vorzensorin fungieren. „Am Anfang habe ich immer nachgefragt, warum wir dies nicht zeigen können oder jenes nicht spielen. Nach sechs Monaten wußte ich selbst schon genau, welche Rhythmen als ,fremdartig' galten und welche Videos man ,reparieren' mußte. Ich versuche, die Grenzen ein bißchen weiter zu stecken. Aber die Schlußredaktion machen andere. Nach der Vorschau entscheidet der Boß. Die Plattenindustrie akzeptiert unsere Bearbeitung ihrer Videos.“
Was genau ist „gesunde“ Musik? Li erzählt von einer Diskussion mit einer Kollegin. „Das Lied, um das es ging, war eigentlich eine eher zarte Ballade, nichts Kompliziertes.“ Und trotzdem war die Kollegin sicher, es komme für die Sendung nicht in Frage. „Ich fragte sie, warum, und sie sagte: ,Die Bedeutung des Liedes ist nicht gesund.' Im Lied geht es um Verunsicherung; es stellt mehr Fragen, als es Antworten gibt. Aber in der Schule haben wir gelernt, daß es Verunsicherung nicht gibt. Wir dürfen zwar Fragen stellen, aber nur solche, für die es klare Antworten gibt.“
Auch in den USA wird Rockmusik oft genug als „moralische Vergiftung“ angesehen; in China bezeichnet man dasselbe als „geistige Vergiftung“. Es könne schon sein, daß auch der Rock keine Antwort auf die Fragen der urbanen Jugend Chinas hat, sagt Li. „Aber da wir so wenig Möglichkeiten haben, unsere Zweifel und Kritik auszudrücken, ist Rock synonym geworden mit geistiger Vergiftung.“
Einer der Künstler, denen Li gern mehr Raum geben würde, ist das umstrittene Rockidol Cui Jian. „Seine Musik hat eine ganze Generation geprägt. Über seine Lieder denkt eine ganze Generation nach, nämlich über den Bruch mit traditionellen Regeln und persönliche Freiheiten.“
In Hongkong, wo Li ebenfalls an Rocksendungen mitarbeitet, hat sie diese Probleme nicht. „Ich kann chinesische Rockbands präsentieren, und die können sagen, was sie wollen. Vor den Interviews besprechen wir uns natürlich, damit sie Bescheid wissen. Das ist auch für sie wichtig, denn wenn sie sich nicht an die Regeln halten, werden sie rausgeschnitten.“
Nachdem die vorher unumstrittene chinesische Folksängerin Ajjing nach einem Konzert in Tokio im Winter 1996 in Lis Sendung ein Interview gegeben hatte, wurde diese für einen Monat eingestellt. Der Grund: Die Sängerin war auf der Bühne herumgesprungen. „Normalerweise sitzt sie ruhig da und spielt ihre sanften Lieder. In Tokio hüpfte sie ein bißchen herum, und meine Chefs meinten gleich, das sei Rock. Uns alle hat das schrecklich deprimiert. Zuerst wollte ich kündigen, aber dann dachte ich, ich muß dableiben und weiterkämpfen.“ Ole Reitov
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