Strittig ist nicht, ob etwas geschehen ist, sondern ob sich jemand dadurch persönlich verletzt fühlt

■ Die Arbeitsstelle ADE ist für Bremens Öffentlichen Dienst die Anlaufstelle für Beschwerden über Sexismus: „Wir reden über die pluralistische Gesellschaft an den Unis“, sagt Mitarbeiterin Sabine Klein-Schonnefeld

Die „Arbeitsstelle gegen sexuelle Diskriminierung und Gewalt am Ausbildungs- und Erwerbsarbeitsplatz“ (ADE) ist die Anlaufstelle für BremerInnen, die im Öffentlichen Dienst arbeiten. Sie können sich bei der ADE beschweren, wenn sie sich diskriminiert, belästigt oder gemobbt fühlen. Welches Verfahren dann anläuft, schildert im taz -Interview Sabine Klein-Schonnefeld, Mitarbeiterin der Stelle.

taz: Lehrende an der Bremer Universität sind verunsichert. Nachdem bekannt wurde, daß sich mehrere StudentInnen über die sexistische Lehrweise eines Dozenten beschwert haben sollen, fragen sich DozentInnen jetzt, ob sie lieber nicht alleine mit Studentinnen im Aufzug fahren, und dergleichen. Ist das das Ziel Ihrer Arbeit?

Sabine Klein-Schonnefeld, Arbeitsstelle ADE:

Die ADE besteht seit 1993. Wievielen Beschwerden von StudentInnen über Dozenten geht Sie pro Jahr nach?

Beschweren sich in der Regel Frauen über Männer?

Was ist der häufigste Anlaß zur Beschwerde?

Wie gehen Sie vor, wenn Ihnen Beschwerden innerhalb der Universität – von StudentInnen gegenüber Lehrenden – bekannt werden?

Wobei die Furcht nichts über tatsächliche Reaktionen auf Kritik aussagen muß.

Heißt das, offene Aussprache wird nicht empfohlen?

Wann werden Sie bei Beschwerden in welcher Weise aktiv?

Die Frage ist ja, was ist Sexismus? Da arbeiten Sie nach Richtlinien. Danach sind neben vielem anderen „verbale oder bildliche, konfrontative oder provozierende Präsentation pornographischer/ sexistischer Darstellungen“ unerwünscht bzw. verboten. Wie wird denn festgestellt, ob es sich überhaupt um sowas handelt?

Das heißt, daß beispielsweise bestimmte Filme gezeigt wurden, ist nicht strittig – wohl aber, ob die was mit Sexismus zu tun haben?

Für denjenigen, der sich – möglicherweise zu Unrecht – beschuldigt fühlt, gegen die Antisexismusgebote der Uni verstoßen zu haben, kann das eine schwierige Situation sein.

Wie prüfen Sie, ob eine Beschwerde überhaupt berechtigt ist?

Geben Sie das weiter, ohne das zu prüfen?

Nehmen wir mal, hypothetisch, es ginge um einen Filmausschnitt, in dem unter anderem über eine Abtreibung gesprochen wird. Da könnte sich eine junge Feministin durch die Art, wie der Film angekündigt wird, durch den Lehrenden verletzt fühlen – und eine junge Lebensschützerin durch das Gespräch über eine Abtreibung an sich. Beide können zu Ihnen kommen und sich beschweren – und die Sache geht zum Vorgesetzten?

Kann ein solcher Weg darin bestehen, Lehrenden, gegen die Beschwerden vorkamen, vorzuschlagen, Materialauswahl und -einsatz so zu modifizieren, daß kein Anlaß zu Beschwerden besteht? Die Unileitung hat dies getan.

Wie bekannt sind diese Inhalte Ihrer Arbeit?

Sie behandeln die Beschwerden in der Regel vertraulich. Wäre nicht eine breite Debatte über Ihre Arbeit und auch beschwerdeauslösende Vorgänge wünschenswert?

Aber muß man nicht, wenn es zum Beispiel um die Auswahl bestimmter Materialien geht, am Beispiel deutlich machen, was an einer Situation sexistisch sein soll – wenn es nicht das Material selbst ist?

Fragen: Eva Rhode

Nein.

Die meisten Beratungen münden nicht in Beschwerden. Aber grundsätzlich differenzieren wir die Statistik nicht nach Ämtern, weil sonst – vor allem in den kleinen Behörden – die Suche losgeht: Wer war es denn bei uns? Die Universität taucht in der Statistik also nicht gesondert auf, zumal wir absolut vertraulich beraten.

Überwiegend ja. Es gibt aber auch Beschwerden von Männern, dann allerdings in der Regel nicht über Frauen, sondern über andere, heterosexuelle Kollegen.

Das kann man nicht sagen. Das geht von Übergriffen im häuslichen Bereich über Antatschen bis hin zu telefonischer Belästigung und zu dem, was wir allgemein Sexismus nennen. Daß jemandem die Atmosphäre nicht paßt, die Auswahl von Bildern an Bürowänden oder daß permanent auf Figur oder Äußeres Bezug genommen wird.

Das hängt von der Klientin ab. Eine große Gruppe will sich nur vergewissern, ob es tatsächlich kritikwürdige Punkte sind, die sie belasten. Viele wollen wissen, wie sie sich juristisch wehren können, vor allem aber wollen sie wissen, wie sie auf der sozialen Ebene Übergriffen ausweichen können. Neue Untersuchungen belegen, daß die Furcht von Studierenden, durch Kritik an Lehrenden erhebliche Nachteile zu erleiden, sehr viel größer ist, als dies Lehrende überhaupt wahrnehmen.

Sie sagt etwas über die subjektiv wahrgenommene Hierarchie und Abhängigkeit von Studierenden aus, die keinerlei Entsprechung auf der Wahrnehmungsebene der Lehrenden findet. Damit sage ich nicht, Kritik hätte tatsächlich negative Folgen. Aber die Ängste der Studierenden sind sehr groß.

Jein. Das kommt sehr darauf an. Die meisten Studierenden scheuen das offene Gespräch ...

... und wenden sich lieber vertraulich an Ihre Einrichtung. Wie bewerten Sie das?

Erstmal gar nicht. Es ist ein Geheimnis von Beratungstätigkeit, erstmal nichts zu bewerten. Ich nehme es zur Kenntnis.

Es gibt zwei in Richtlinien von Unileitung und Akademischem Senat festgelegte Verfahren. Im ersten wird, wenn die Betroffene das möchte, die Kritik am Kritisierten über dessen Vorgesetzten an ihn weitergeleitet. Wenn der Vorgesetzte das für richtig hält, findet ein Informationsgespräch statt. Die Unileitung betrachtet es als fair, solche Kritik weiterzureichen. Dann wird diskutiert, wie mit meinetwegen auch Minder- und Einzelmeinungen in der Unterrichtssituation umgeangen werden kann. Hintergrund ist, daß die Universitäten vor dem Problem stehen, daß sie pluralistische Institutionen geworden sind. Wir haben nicht mehr nur männliche Bildungsbürger aus Mittel- und Oberschicht an der Uni, sondern Menschen aus unterschiedlichen Kulturen mit unterschiedlichem Hintergrund und damit auch unterschiedlichen Standards. Das hat den Unterricht auf der methodischen Ebene viel schwieriger gemacht.

Wir haben bisher nicht erlebt, daß Uneinigkeit über die kritisierten Fakten bestand. Das Problem ist aber häufig, daß die Tatsachen unterschiedlich bewertet werden.

Ja, oder daß sich einzelne Personen dadurch verletzt fühlen.

Nur daß er nicht besschuldigt, sondern nur kritisiert wurde. Als beschuldigt gilt nur, gegen wen ein förmliches Beschwerdeverfah-ren eingeleitet wurde. Das geht nur über die Unileitung – und dort gibt es tatsächlich auch Ermittlungen. Mit einem Konfliktgespräch hat das aber nichts zu tun.

Das ist genau der Punkt. Wir sind bei der niedrigschwelligen Intervention, die ein Konfliktgespräch ist. Es wird der Person xy gesagt: „Dies oder das ist jemandem in Ihrem Unterricht peinlich gewesen – und die betreffende Person hat sich nicht getraut, das zu äußern.“

Ja. Wir sind keine Ermittlungsstelle.

Das ist richtig. In dem Beschäftigten-Schutzgesetz des Bundes, unter Frau Merkel übrigens auf Druck der EU verabschiedet, steht, daß jede Behörde und jeder Privatbetrieb eine Beschwerdestelle haben oder auf eine verweisen sollte, bei der sich ein Individuum, das sich in seiner Würde tangiert fühlt, beschweren kann. Wir reden aber über ein viel größeres Problem, über eine pluralistische Gesellschaft, die sich an den Universitäten widerspiegelt. Wir haben MigrantInnen von den unterschiedlichsten Hintergründen, wir haben Frauen, die alles nicht so schlimm finden und sich an den üblichen Sexismus gewöhnt haben, und wir haben Frauen, die als Kompliment nehmen, was radikale Feministinnen als Würdeverletzung verstehen. Das Problem ist, daß wir Wege finden müssen, uns über völlig unterschiedliche Standards zu verständigen.

Das kann im Extremfall notwendig sein, wäre aber nichts, was ich entscheiden könnte oder möchte. Aus meiner Sicht geht es um die Frage: Wie kann ich eine Unterrichtssituation oder eine Arbeitssituation in beispielsweise einem Forschungsprojekt so gestalten, daß eine Einzelmeinung zu Wort kommen kann. Das heißt ja noch nicht, daß ich dem folge, aber daß ich eine Atmosphäre schaffe, die für unterschiedliche Standards offen ist.

Sie könnten bekannt sein; der Akademische Rat, also das Parlament dieser Universität, hat die Richtlinien beschlossen. Aber Diskriminierungstatbestände, insbesondere, wenn sie den sexuellen Bereich betreffen – und es geht hin bis zur sexuellen Gewalt – eliminieren wir gerne aus unserem Alltag. Das ist auch sehr vernünftig, wir alle könnten nicht damit leben, wenn wir jeden Morgen alle Daten über sexuelle Diskriminierung und Gewalt in unserer Gesellschaft parat hätten.

Über die Arbeit, ja. Über Beratung und Beschwerden, nein. Das ist ein Unterschied.

Sie gehen immer wieder davon aus, daß man dies objektiv feststellen könnte. Ich könnte nur erheben: Wie fühlen sich die Zuschauer. Welche Situation nehmen sie war? Objektiv feststellen kann ich nur den Übergriff und die Vergewaltigung.

Persönlich weigere ich mich, auch nur im Ansatz eine Debatte zu führen, die auf Zensur von Materialien ausgerichtet sein könnte. Die Debatte, die ich mir wünsche, sollte darum gehen, wie es möglich wird, daß sich Frau Meier in meinem Kurs traut zu sagen: „Frau Klein-Schonnefeld, so wie Sie das machen, geht das nicht.“