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AnalyseSymbol Havemann

■ Der Regimekritiker wird erneut zum Musterfall - für DDR-Unrecht

Dieses Verfahren wird in die Geschichte eingehen, und nachfolgende Generationen werden daraus lernen“, so äußerte sich 1995 Katja Havemann, die Witwe des 1982 verstorbenen DDR-Regimekritikers Robert Havemann. Verhandelt wurde damals am Landgericht Frankfurt (Oder) gegen sieben DDR-Juristen, die den DDR-Kritiker in zwei Verfahren mundtot machten. Doch der Rechtsbeugungs- prozeß endete — mit sieben Freisprüchen. Gestern diskutierte der Bundesgerichtshof in Leipzip die Revision.

Robert Havemann war neben Wolf Biermann der wohl bekannteste Regimekritiker der DDR. Als es ihm gelang, einen Protestbrief gegen Biermanns Ausbürgerung 1976 dem Spiegel zuzuspielen, wurde er von der DDR-Justiz unter Hausarrest gestellt. Der persönlichen Isolierung sollte die geistige folgen. 1979 wurde Havemann für ein angebliches Devisenvergehen mit einer hohen Geldstrafe belegt. Fast seine gesamte Bibliothek wurde beschlagnahmt.

Beide Urteile wurden 1991 vom Bezirksgericht Potsdam aufgehoben, die einst beteiligten fünf Richter und zwei Staatsanwälte selbst wegen Rechtsbeugung angeklagt. Vorgeworfen wurde ihnen, daß sie die Verfahren nach einem geheimen Drehbuch der Stasi abgewickelt hätten. „Die Urteile waren reine Willkürakte zur Ausschaltung eines politischen Gegners“, so die Staatsanwaltschaft 1995. Die Angeklagten wollten hingegen von dem Stasi-Komplott nichts gewußt haben. Das Landgericht Frankfurt (Oder) sprach die sieben Juristen im Oktober vorigen Jahres vom Vorwurf der Rechtsbeugung frei. Zwar habe ein Stasi-Drehbuch bestanden, allerdings sei unklar geblieben, inwiefern die ohnehin staatstragenden DDR-Juristen davon gewußt hatten.

Nun muß der BGH, das höchste deutsche Strafgericht entscheiden, ob dem Landgericht bei seiner Wertung „Rechtsfehler“ unterlaufen sind. Maßstab ist dabei nicht West- Recht, sondern das Strafgesetzbuch der DDR, das „Rechtsbeugung“ ebenfalls unter Strafe stellte. Unproblematisch ist dies aber nur dann, wenn die DDR-Richter das DDR-Recht wissentlich falsch angewandt hatten. Häufig aber hielten sich auch besonders hart erscheinende Urteile noch im Rahmen des DDR-Rechts – der BGH hat dafür eine differenzierte Rechtsprechung entwickelt. Keine Rechtsbeugung liege vor, wenn die DDR-Gesetze „parteilich“, das heißt „marxistisch- leninistisch“, interpretiert wurden. Schließlich habe es in der DDR keine „Unabhängigkeit der Gerichte“ im westlichen Sinne gegeben. Nur „grob menschenrechtswidrige“ Ergebnisse hätten vermieden werden müssen. Vor diesem Hintergrund wird der Ausgang der Revision im Fall Havemann mit großer Spannung erwartet. Das Urteil wird am Donnerstag verkündet. Christian Rath

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