: Mission in der Festung Jerusalem
Mit seinem Israelbesuch will Clinton die Umsetzung des Wye-Abkommens vorantreiben. Für Ärger sorgt sein Plan, die Palästinensergebiete zu besuchen ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen
Jerusalem glich gestern in weiten Teilen einer verkehrsberuhigten Zone. Zentrale Verkehrsadern waren wegen des Besuchs von US- Präsident Bill Clinton abgesperrt. Um das Hilton-Hotel war ein weiträumiger Sicherheitskorridor gezogen worden. Die Elite der israelischen Anti-Terror-Einheiten Yamam wurde dort postiert. Auf den Dächern der umliegenden Häuser lauerten Scharfschützen. Straßen, die der Clinton-Troß befuhr, wurden eine Stunde vorher gesperrt. Mehr als 15.000 Sicherheitskräfte waren im Einsatz.
Am Morgen frühstückte das Ehepaar Clinton mit dem Ehepaar Netanjahu. Dem schloß sich eine Arbeitssitzung mit dem israelischen Sicherheitskabinett an, an dem auch US-Außenministerin Albright und US-Unterhändler Ross teilnahmen. Anschließend legte Clinton einen Kranz am Grab des ermordeten Premiers Rabin nieder. Am späten Nachmittag wurde Clinton von Israels Präsident Weizman in der Residenz in Beit Hanassi empfangen.
Die freundlich gestaltete Atmosphäre konnte die israelisch-amerikanischen Meinungsverschiedenheiten nur mühsam übertünchen. Netanjahus Aussetzung des Wye- Abkommens wegen der jüngsten palästinensischen Demonstrationen für die Freilassung politischer Gefangener hat in Washington nur wenig Verständnis gefunden. Doch um seine Koalition zusammenzuhalten, hat Netanjahu der Rechten, die jeden weiteren Rückzug aus den palästinensischen Gebieten ablehnt, Zugeständnisse gemacht. Der Lackmustest steht noch bevor. In einer Woche stimmt die Knesset über ein Mißtrauensvotum gegen Netanjahu ab. Und keiner in Israel ist bereit, auf Netanjahu als Sieger zu wetten.
Schon beim Empfang von Clinton auf dem Ben-Gurion-Flughafen hatte Netanjahu erneut die Palästinenser beschuldigt, ihren Verpflichtungen aus dem Wye-Abkommen nicht nachgekommen zu sein. Ohne die Unterdrückung der gewalttätigen Proteste und Angriffe auf Israelis werde es keinen weiteren Rückzug geben, unterstrich Netanjahu auch auf der gestrigen Pressekonferenz mit Clinton. Vier Palästinenser waren in der vergangenen Woche bei Protesten israelischer Soldaten erschossen worden. Die palästinensische Autonomiebehörde rief angesichts des Clintonbesuchs dazu auf, gewaltätige Proteste zu unterlassen. Am Wochenende ging die palästinensische Polizei in Bethlehem und Ramallah gegen palästinensische Steinewerfer vor. In den Flüchtlingslagern Shati und Jabalia im Gaza-Streifen wurden Razzien und Verhaftungen vorgenommen, um den Besuch von Clinton ungestört über die Bühne zu bringen.
Obwohl Präsident Ezer Weizmann mit einem Großteil der Regierung zum offiziellen Empfang am Flughafen angetreten war, hatten einige Minister ihr Mißfallen gegenüber dem Clintonbesuch durch Abwesenheit zum Ausdruck gebracht. Die innerisraelische Kontroverse entzündet sich vor allem daran, daß Clinton nicht vor der Knesset spricht und gleich viel Zeit in Israel wie in den palästinensischen Gebieten verbringt.
Der US-Präsident gab sich zu Beginn seines Besuches diplomatisch. Er versicherte, daß die USA zu den gerechtfertigten Sicherheitsforderungen Israels stehen würden. Zugleich erklärte er: „Für zwei Völker, deren Schicksal es ist, dieses Land zu teilen, ist Frieden die einzige Option, die Jahre des Kriegs und des Blutvergießens vermeiden kann.“ Clintons vierter Besuch in der Region ist der erste, der ihn heute auch in die palästinensischen Autonomiegebiete führen wird. Er wird vor dem Palästinensischen Nationalrat sprechen. Dieser dürfte die Annullierung der Artikel in der PLO-Charta bekräftigen, die Israels Vernichtung fordern. Wie schwer es Clinton auch wird, das Wye-Abkommen wieder in Gang zu setzen. Eines steht fest: Sein Besuch im Gaza-Streifen wird von Israelis und Palästinensern als Anerkennung des palästinensischen Anspruchs auf einen eigenen Staat angesehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen