: Auf der Suche nach Baby-Doc
Haitis Ex-Diktator Jean-Claude Duvalier ist an Frankreichs Côte d'Azur abgetaucht. Die meisten haitianischen Einwanderer wollen von einem Prozeß nichts wissen ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Idiot“, schreit die junge Frau aus Leibeskräften. Sie steht am Ende der kleinen Straße in der nördlichen Pariser Vorstadt St. Denis, läßt ihre Handtasche wie ein Lasso über den Kopf kreisen und stampft mit ihren Plateausohlen auf den Asphalt. Sie zetert so laut, daß sie selbst den inbrünstigen kreolischen Gesang aus dem benachbarten protestantischen Pentecôte-Tempel noch übertönt: „Halt den Mund, Camille, und komm sofort her!“
Der „Idiot“ ist ihr Gatte. Er schickt sich an, der Journalistin eine Begegnung mit dem Ex-Diktator von Haiti erzählen. Kaum hat er den Namen „Duvalier“ ausgesprochen, rennt seine Frau davon. Aus der Entfernung schreit sie so lange, bis er den Kopf einzieht und ihr wortlos hinterhergeht.
Es ist nichts zu machen. Wer „Baby-Doc“ sucht, findet vor allem Angst. Vor den Morden und Entführungen, die nie geahndet wurden. Vor dem „schwarzen Rauch“, in den sich laut Voodoo- Gerüchten Diktatorengattin Michelle nach Einbruch der Dunkelheit verwandelte. Vor der paramilitärischen Truppe „Tontons Macoutes“, aus der inzwischen viele Mitglieder in die USA, manche auch nach Frankreich gegangen sind.
Auch zwölf Jahre, nachdem die Familie Duvalier ihr Land mit ein paar hundert Millionen Dollars an Bord einer US-amerikanischen Militärmaschine verlassen hat, und selbst im Tausende Kilometer entfernten Frankreich zittern viele Haitianer, wenn sie den Namen der Diktatorendynastie hören.
Dabei kann „Baby-Doc“ heute kaum noch Schaden anrichten. Zum ersten Mal in seinem Leben ist der 47jährige mit dem mondrunden Babygesicht, der beim Tod seines Vaters und Diktatorenvorgängers „Papa-Doc“ 1971 „Präsident auf Lebenszeit“ wurde, selbst in der Klemme. Seit Anfang Dezember ein Komitee haitianischer Intellektueller in Paris aufgerufen hat, ihn wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht zu bringen, ist er abgetaucht.
Selbst die politische Spitze Frankreichs hat ihn dieses Mal im Stich gelassen. Der amtierende Innenminister Jean-Jack Queyranne ist „nicht gegen ein Urteil über Duvalier“. Und der sozialistische Premierminister Lionel Jospin, dessen Amtsvorgänger stets ihre schützende Hand über den Ex-Diktator hielten, sagt heute, daß Frankreich ihn damals „nicht zum Vergnügen“ aufgenommen habe, sondern um Haiti vor Schlimmerem zu bewahren.
Sogar die haitianische Botschaft in Paris, die zwölf Jahre lang versucht hat, die Anwesenheit Duvaliers in Frankreich zu ignorieren, wünscht jetzt „seine Verfolgung“. Und in Port-au-Prince hat der haitianische Innenminister ein Büro eröffnet, in dem Opfer der Duvalier-Diktatur sich melden können, um Anzeige zu erstatten.
Das Dumme ist, daß plötzlich keiner mehr wissen will, wo sich „Baby-Doc“ aufhält. Die französische Polizei, die den Aufenthalt des Ex-Diktators diskret überwachte, seit Staatspräsident François Mitterrand ihm zunächst für acht Tage, dann unbefristet Aufenthalt in Frankreich gewährte, will ihn zuletzt im vergangenen Jahr beim Tod seiner Mutter Simone im Pariser Nobelvorort Neuilly-sur-Seine gesehen haben. Im Innenministerium heißt es mysteriös: „Wir wissen nicht, ob er überhaupt noch in Frankreich ist.“ Gefolgt von der Auskunft, die französische Polizei habe „Dringenderes“ zu tun, als Duvalier zu suchen. Und die haitianische Botschaft versucht, sich mit der Auskunft aus der Affäre zu ziehen, Duvaliers haitianischer Paß sei längst nicht mehr gültig.
Sein Pariser Anwalt, Sauveur Vaisse, will nur telefonischen Kontakt mit seinem Klienten haben: „er ruft mich von einem Handy aus an“. Vaisse ist aber sicher, daß sich Duvalier weiterhin in Frankreich aufhält. Französische Journalisten wollen herausgefunden haben, daß er „verarmt“ und „beinahe obdachlos“ sei.
An der Rue Volta in einem anonymen Block in Puteaux im Westen von Paris, wo Duvaliers Ex- Gattin Michelle Bennet und die beiden Kinder im ersten Stock mit Blick auf die Seine wohnten und wo auch „Baby-Doc“ gelegentlich auftauchte, hat die Familie keine neue Adresse hinterlassen, als sie 1996 wegen unbezahlter Mieten von der Wohnungsgesellschaft AGF herausgeschmissen wurde. Bloß von Schwiegervater Ernst Bennet, auf dessen Namen der Mietvertrag lief, ist gegenwärtig ein Aufenthaltsort gesichert: Er sitzt wegen internationalen Drogenhandels in Port-au-Prince im Gefängnis.
Undurchsichtige Finanzoperationen gehören zu Duvaliers Spezialitäten. Obwohl die Schweiz auf Antrag der haitianischen Regierung 1986 sein Konto sperrte, verfügte er in Frankreich stets über Koffer voller Geld. In seinen ersten Jahren an der Côte d'Azur leistete er sich einen pakistanischen Chauffeur, haitianische Leibwächter, einen französischen Anwalt, schicke Autos und extravagante Ausflüge in die Nachtclubs der Region.
Er zahlte alles in bar. Wenn er zahlte. Denn zugleich säumen ungezahlte Rechnungen bei Bäckern, Metzgern und Köchen seinen Weg. Mit der Scheidung von der schönen Mulattin Michelle Bennet im Frühjahr 1993 kamen mehrere Villen aus dem Familienbesitz unter den Hammer – die Sache wurde um so undurchsichtiger.
Haitianische Intelellektuelle nehmen das Gerede von einer Verarmung ihres Ex-Diktators nicht ernst. „Um 800 Millionen Dollar in zwölf Jahren zu verprassen, muß man wirklich sehr einfältig sein“, sagt René Benjamin (70), der in Paris die soziale Organisation „Haiti Développement“ leitet.
Sie glauben auch nicht, daß jemand wie Duvalier der französischen Polizei durch die Lappen gehen kann. Bei Gérald Bloncourt, dem 72jährigen Dichter und Maler im 11. Pariser Arrondissement, der das Komitee zur Verurteilung „Baby-Docs“ ins Leben rief, laufen ständig „heiße Tips“ ein. Ein Anrufer will „Baby-Doc“ in Begleitung zweier Bodyguards auf den Champs-Elysées gesehen haben. Vor zwei Wochen spazierte der Ex-Dikator angeblich „mit einem Hündchen an der Leine“ über den Platz ChÛtelet im Zentrum von Paris. Dann kam der Hinweis, er verstecke sich in der östlichen Pariser Vorstadt Montreuil. Und schließlich fand jemand heraus, daß Duvalier noch vor kurzem eine Nacht in einem Pariser Nobelhotel verbracht hat.
„Baby-Doc ist nicht ruiniert, erfreut sich guter Gesundheit und wird nach wie vor von seinen französischen Freunden geschützt“, ist Broncourt überzeugt. Der haitianische Oppositionelle ist in Hochstimmung. „Jahrelang habe ich wie ein Wolf in der Wüste geheult“, sagt er. Jetzt haben der mit Pomp gefeierte 50. Jahrestag der allgemeinen Menschenrechtserklärung und die „Affäre Pinochet“ seiner Sache Aufschwung gegeben. Broncourt hat bereits ein Gerichtsverfahren wegen der „60.000 Toten, für die die Duvaliers verantwortlich sind“, vor Augen.
Doch dazu steht den Anti-Duvalieristen noch ein hartes Stück Arbeit bevor. Denn bislang liegt juristisch nichts gegen „Baby- Doc“ vor. Um tatsächlich ein Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zustande zu bringen, müßte jemand Anzeige erstatten. Und weil Duvalier nach heutigen Erkenntnissen keine französischen Staatsangehörigen ermordet hat, kann das nur tun, wer zugleich Opfer ist und die doppelte – französische und haitianische – Staatsangehörigkeit hat, erklärt das Innenministerium in Paris.
Die Latte für potentielle Kläger ist damit ziemlich hoch gehängt – zumal viele der rund 30.000 haitianischen Einwanderer in Frankreich im Gegensatz zu ihrem Ex- Diktator nicht einmal Aufenthaltsgenehmigungen haben. Die Intellektuellen vom Komitee – die selbst seit Jahrzehnten in Frankreich leben – suchen jetzt dringend nach möglichen Klägern.
Doch statt auf Diktatorenjagd steht in der haitianischen Diaspora, die mehrheitlich in den Arbeitervororten im Norden und Osten von Paris lebt, die Stimmung eher auf spirituelle Einkehr. Am Wochenende streben viele Haitianer in einen der 32 verschiedenen haitianischen Tempel in Paris, von denen viele in stillgelegten Fabriken eingerichtet sind. Politische Themen sind dort tabu.
Daran hält sich auch Jean-Wesnel Delmonte (38), Baptistenprediger in der östlichen Vorstadt Pantin, der 1985 vor den Tonton Macoutes nach Frankreich floh und „enttäuscht“ ist, daß Frankreich „Duvalier empfing, nachdem der sein Land ausgeplündert hatte“. Bei der Abendpredigt, zwischen den Plastikblumen, die seinen Tempel im hinteren Teil eines Industriegeländes schmücken, sagt er den Gläubigen, „ihr seid das auserwählte Volk“ und spricht von Jesus, „der euch nicht verläßt“.
Von einem Prozeß gegen den Ex-Diktator ist auch bei den haitianischen Katholiken im 19. Pariser Arrondissement keine Rede. „Schon um die Gemeinde nicht zu spalten“, sagt ein Geistlicher, der dem demokratisch gewählten, von Militärs weggeputschten und 1994 von den USA mit Hilfe einer Militärinvasion wieder eingesetzten Ex-Präsidenten Jean-Bertrand Aristide nahesteht.
René Pierre, Leiter des Chores der katholischen Kirche, probt mit einem kleinen Taktstock in der Hand das Repertoire für die Weihnachtsfeiern ein – kreolische Lieder im Voodoo-Rhythmus, zu denen sich die Sängerinnen hin und her wiegen. René Pierre erinnert daran, daß es „immer noch Tontons Macoutes unter uns gibt“. Aber wenn „Baby-Doc“ an diesem Sonntag abend in die Kirche spazierte, würde er „ihm die Hand ausstrecken und sagen: Willkommen, Bruder“.
In dem haitianischen Kosmetikladen im 18. Pariser Arrondissement sorgt das Thema für eine Familienszene. Die jungen Leute erzählen von dem Geld, das „Baby- Doc“ aus dem Fenster seines fahrenden Wagens geworfen hat, von der Nahrungsmittelhilfe aus Europa, die er verkauft hat, von den Kindern in ihrer Heimat, die an Unterernähung sterben.
Trotzdem sagt Verkäuferin Martine Deluze (23) sehr bestimmt: „Duvalier gehört der Vergangenheit an. Wir haben heute andere Probleme.“ Aus den Kulissen des auf Glatthaarperücken und Gels spezialisierten Ladens mahnt ihre Mutter: „Sprich nicht darüber!“ Eine Kusine schimpft: „Du wirst in Haiti noch ins Gefängnis kommen.“
Die junge Frau redet trotzig weiter. „Egal“, entgegnet sie, „ich gehe erst wieder nach Haiti, wenn meine Haare weiß sind.“ An ein Verfahren gegen den Ex-Diktator glaubt auch sie nicht: „Wenn Frankreich das wollte, hätte es zwölf Jahre Zeit dazu gehabt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen