Neulich in der Kulturhauptstadt: Vorübergehend geschlossen
■ Wenn einer heutzutage noch Briefe schreibt und sie auch abschicken will, lernt er die „Weltstadt Bremen“ kennen
Schon mal versucht, Sonntag abends gegen sechs einen Brief nach der durch die Postwerbung versprochenen Formel E + 1 (1 Tag nach Einwurf kommt der Brief an) loszuwerden? Der Briefkasten um die Ecke wird sonntags nie geleert. Aber es steht drauf, wo der nächste ist, der vielleicht noch und wann ... Ach, denkst du mit schlichtem Gemüt. Fährst du ebend zum Bahnhof. Das ging doch immer. Und da ist ja gegenüber auch noch das Postamt 5. Da ging das auch Tag und Nacht. Pustekuchen!
Die Briefkästen am Bahnhof sind wegen der ständig sich verändernden Baustellensituation nur schwer auffindbar. Hat man endlich einen gefunden, steht darauf der freundliche Hinweis, daß beim Postamt 1 an der Domsheide noch spät geleert werden würde. Am Nordausgang vom Bahnhof, da bei Eurospar an der Ecke, ist auch noch einer. Mit Klebeband zugeklebt. „Vorübergehend geschlossen“ steht darauf. Die Polizisten, die in der Nähe stehen, geben sich auf Anfrage Mühe, nachzudenken. Ihnen fällt auch keine Lösung ein. Aber auf das mit zaghafter Empörung vorgebrachte Argument „Weltstadt Bremen“ brechen sie in homerisches Gelächter aus.
Da schließen sich die folgende Betrachtungen dran an. Halten wir fest:
1. Es gibt in diesem verzweifelt um seine Selbständigkeit ringenden Bundesland Bremen nur einen einzigen Briefkasten, der modernen Maßstäben entspricht.
2. Da kann der Senat natürlich nix für. Aber es interessiert ihn auch nicht. Die Post ist keine Behörde mehr, sondern selbständig und privat.
3. Die Post ist aber nicht so privat, daß sie Konkurrenz hinzunehmen hätte. Dann wäre das Problem längst keins mehr. Es ist unglaublich! Weltstadt. Bundesland. Hauptsache: Henneman & Co kriegen ihre Zusatzrente. Man muß das alles im Zusammenhang sehen. Die paar Mios! What shalls! Briefkästen leeren kostet doch viel mehr.
Früher, als ich noch da wohnte, hatte in Hamburg (ich weiß nicht, ob das in Bremen auch mal so war) jede Straßenbahn hinten außen einen Briefkasten dran. Da konnte man einwerfen. Auch als Nichtfahrgast. Bei der nächsten Vorbeifahrt am Hühnerposten wurde der geleert. Selbstverständlich, Tag und Nacht. Alle Tage die Woche. Kunnst di op verloot di to. Hier in Bremen fährt so gut wie jede Tram über Domsheide, wo das Postamt 1 mit dem einzigen funktionierenden Briefkasten ist, der nicht dauern seine Tage hat. Aber Stadtplan und Fahrplan lesen ist wohl nicht die stärkste Seite bremischer Beamtengehirne. Und die ungeklärten Zuständigkeiten ... Kooperation zum Nutzen des Kunden, des Bürgers? Pustekuchen.
Weltstadt, eben. Hahaha, sagten die Polizisten am Bahnhof. Und denn noch die Taxifahrer. Zwei Stück angehalten auf der Admiralstraße. „Würden Sie so freundlich sein, diesen Brief für ein kleines Zusatzgeld bei der nächsten Vorbeifahrt an der Domsheide ...“ „Da müßte ich mindestens 15 Mark für nehmen.“ „Nein.“ Freie Hansestadt Krähwinkel. Hauptsache, Hartmut und Henning vastehn sich bis zur Wahl. Bani Barfoot
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen