: Kein Winterschlaf im Kosovo
Der Waffenstillstand im Kosovo steht nur auf dem Papier. Täglich fordern Gefechte zwischen serbischen Truppen und Kosovo-Albanern neue Opfer. Von den Beobachtern der OSZE ist bislang kaum etwas zu sehen ■ Von Karl Gersuny
Wien (taz) – Scharmützel, Attentate und Rachemorde: Kosovo ist in diesem Winter ein Todesland. Etwa 50 Menschen starben allein in den vergangenen zehn Tagen in jenem Streifen Serbiens, in dem 90 Prozent der Einwohner Albaner sind. Es begann mit einem Feuergefecht an der Grenze zum Nachbarstaat Albanien mit angeblich 33 Toten, dann folgte ein Racheüberfall auf eine serbische Kneipe, bei dem vier Jugendliche ihr Leben ließen. Nach dem Tod eines serbischen Polizisten in Podujevo rückten am Montag serbische Truppen mit Panzern auf die von Albanern bewohnte Stadt vor und lieferten sich Kämpfe mit der albanischen Befreiungsarmee UCK.
Ständig melden Albaner und Serben ihre Erfolge – in Todeszahlen. Das serbische Media-Zentrum und das albanische Informationszentrum, beide in Priština, sind schnell zur Hand, wenn es darum geht, der jeweils anderen Seite neue Tote zuzuschieben, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der es nach dem Befriedungsplan vom Oktober eigentlich zufällt, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, schweigt sich aus. Deren Pressezentrum steht vorerst nur auf dem Papier, der Propaganda der beiden Konfliktparteien weiß die OSZE nichts entgegenzusetzen.
Die europäischen Friedensemissäre sind froh, wenigstens ein provisorisches OSZE- Hauptquartier in Priština errichtet zu haben und sieben Außenstellen in den Kreisstädten. Doch von den 2.000 unbewaffneten Beobachtern – Deutschland wollte je 173 zivile und 173 militärisch ausgebildete Späher entsenden – sind bislang kaum welche zu sehen. Einige hundert Briten schieben schon ihren Dienst in und um Priština, unter Beteiligung einiger Dänen, Norweger, Finnen, Polen, Tschechen und Ungarn.
Angeblich soll im Januar alles anders werden. Dann werde die OSZE-Mission wirklich anlaufen, heißt es in den europäischen Hauptstädten, nach Weihnachten wollen etwa 1.500 Beobachter zum Friedensdienst aufbrechen, darunter erstmals auch Deutsche. Doch die Zeit läuft davon. Militärexperten glaubten noch im November, beide Seiten würden ihre Kampfverbände über den Winter zurückziehen und erst im März neue Offensiven aushecken. Man sprach von der „Operation Winterschlaf“, in der die Waffen ruhen würden, der Teufelskreis von Angriff und Gegenangriff zumindest temporär durchbrochen werde.
Nun scheinen sich Albaner und Serben auf eine andere Taktik einzulassen: Noch bevor die OSZE Position bezieht, wollen die Fanatiker auf beiden Seiten „befreite Gebiete“ schaffen und so viele Waffen in Position bringen, daß sich die Beobachter gar nicht mehr aus Priština hinauswagen und erst recht nicht zwischen die verfeindeten Parteien stellen werden.
Selbst die kosovo-albanische Tageszeitung Koha Ditore schrieb gestern, für westliche Diplomaten sei klar, daß die albanische Befreiungsarmee UCK den Friedensprozeß im Kosovo mehr behindere als serbische Polizei und jugoslawische Armee-Einheiten. Angehörige der UCK seien „grob, unkooperativ und erschreckend brutal gegen Serben und angebliche Kollaborateure in den eigenen Reihen“. Es gebe Beweise, daß die UCK foltere und Gefangene töte. Doch die albanische Befreiungsarmee bleibt unnachgiebig. Die UCK lehne den internationalen Kompromißvorschlag zur Lösung der Krise im Kosovo weiter ab, erklärte einer ihrer politischen Vertreter, Sabri Kicmari, gestern in Bonn. Nur eine Unabhängigkeit des Kosovo werde Frieden auf dem Balkan schaffen.
Die oppositionelle serbische Presseagentur BETA zeichnet in ihren jüngsten Hintergrundanalysen ein ebenso düsteres Bild der Entwicklung im Kosovo. Nach den jüngsten Säuberungen im Armee- und Geheimdienstapparat, sei keine einheitliche Kommandostruktur unter den Streitkräften mehr zu erkennen. Einige serbische Kommandeure drohten bereits, auf eigene Faust zu handeln und „alle albanischen Terroristennester auszulöschen“.
Anderen BETA-Analysen zufolge gibt auch die Belgrader Opposition in der Kosovo-Frage ein trauriges Zeugnis ihrer Zerrissenheit ab. Einige Kräfte, etwa die Partei der Serbischen Erneuerungsbewegung unter Vuk Drasković, plädierten offen dafür, „entschiedener gegen den albanischen Separatismus vorzugehen als das Regime“. Selbst Zoran Djindjić, Aushängeschild einer demokratischen Erneuerung in Belgrad, scheute sich vor kurzem nicht, seinen Unmut über das angeblich „zu lasche Vorgehen“ der serbischen Behörden im Kosovo zu äußern. Mit keinem Wort bedauerte er die toten albanischen Zivilisten.
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