: Bitter ist der Tannen-Tod
In Baumschulen eingesperrt, von Förstern geschlagen, mit Netzen gefesselt: Nadelbäume klagen an ■ Von Jakob Michelsen und Eberhard Spohd
Ihre Sanftheit wird der Nordmann-Tanne zum Verhängnis: Wegen ihrer weichen Nadeln und der anmutig-edlen Gestalt erleidet diese Spezies alljährlich ein furchtbares Schicksal. Millionenfach wird sie in Dänemark, ja sogar direkt vor unserer Haustür im Kreis Pinneberg zur Weihnachtszeit geschlagen. Der Grund: Halbtot sollen sie über die Feiertage die Wohnzimmer der Deutschen schmücken. Der langsame Sterbeprozeß wird durch Wasser im Christbaumständer verlängert – bis die letzte Nadel gefallen ist.
„80 Prozent unserer in Deutschland mißhandelten KollegInnen werden im Landkreis Pinneberg mit brutalen Werkzeugen systematisch entwurzelt“, klagt Nordfrau-Tanne Ingeborg die hemmungslosen Geschäftemacher an. „Nur weil wir keine Blüten haben, kann man das mit uns machen.“ Sonst, so meint die streitbare Dame der Gattung Abies nordmanniana von der Tannenbaumbefreiungsinitiative „Kommando Heiße Nadel“, hätte längst Loki Schmidt eingegriffen.
Zwischen zehn Mark für eine mickrige Krüppelkiefer und 90 Mark für eine Silbertanne verlangen die Händler des Schreckens für ihre „Ware“. Allein aus Dänemark werden in diesem Jahr grüne Opfer im Wert von insgesamt 510 Millionen (Baum-)kronen, umgerechnet rund 130 Millionen Mark exportiert. Davon sind 90 Prozent Nordmann-Tannen. „Und Nordfrauen-Tannen“, wie Ingeborg nicht vergißt anzumerken.
Eine bekannte Hamburger Boulevard-Zeitung animierte sogar kleine Kinder wie den unschuldigen Daniel (7) im Sachsenwald zum Tannenschlagen, rief selbst zu dieser Aktion auf. „Tausende von Freizeitförstern schulterten Axt und Säge“, euphemisiert die Gazette das frevelhafte Tun. Auf den bunten Bildern sieht man ganze Familien, die beim fröhlichen Glühwein-Halali um ihre Beute versammelt stehen.
Und auch die Stadtreinigung spielt das schmutzige Spiel mit, verkauft sie doch „Weihnachtsbaum-Entsorgungs-Banderolen“. Die damit markierten Kadaver werden bei bitterer Kälte nach den wenigen frohen Tagen – nicht jedoch froh für die Bäume! – an den Straßenrand zur Abholung gestellt. Das Ende eines Fichtenlebens: die Müllverbrennungsanlage oder einsames Verrotten auf Kompostdeponien. Vor diesem Hintergrund muten Glorifizierungen des Weihnachtsfestes wie in Hans Christian Andersens Märchen „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ geradezu zynisch an.
„Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, Dein Kleid kann mich was lehren: Die Hoffnung und Beständigkeit gibt Trost und Kraft zu jeder Zeit“, sangen unsere verständigeren Altvorderen, als noch nicht alljährlich Horden von Waldarbeitern in die Forsten einbrachen und gerade den hochgewachsenen Bäumen den Garaus machten. „Die Situation damals war auch nicht einfach“, gibt Nordmann-Tanner Beowulf zu bedenken, „doch zumindest wurde uns ein würdiges Ende bereitet.“ Im Kampf Baum gegen Mann trotzten die tapferen Waldmeister der Natur den weihnachtlichen Schmuck ab. „Heutzutage sperrt man uns in Baumschul-Reservate“, klagt der Sieben-Meter-Baum, „und viele von uns greifen aus Frust zur Kunstdüngerflasche.“ Ganz zu schweigen von der unfairen Wahl der Waffen wie Motorsägen und Forstfahrzeuge.
Aber nicht nur der Einschlag empört feinsinnige ZeitgenossInnen. Ein besonders perverser Auswuchs unserer Gesellschaft sind Aktionen wie die des „Informationszentrums Nordmann Tanne“ aus Talkau bei Hamburg. Es fesselte Dutzende der zierlichen Gewächse mit Plastiknetzen und verbrachte sie gewaltsam auf eine Hafenbarkasse. Von dort aus warf sie der Weihnachtsmann persönlich über die Reling auf im Hamburger Hafen liegende Schiffe. Der Ruf „Frohe Weihnachten“, der sie auf ihrem kurzen Flug ins Verderben begleitete, dürfte wohl tannenverachtend in ihren – tja, Ohren? – geklungen haben.
Die Arbeitsgemeinschaft Schleswig-Holsteinischer Weihnachtsbaumproduzenten versucht ihren AbnehmerInnen das schlechte Gewissen mit dem Hinweis auszureden, daß natürliche Bäume weniger Schadstoffe produzieren als künstliche und „zu 100 Prozent wieder in den natürlichen Stoffkreislauf“ eingehen. „Ein Kreislauf des Schreckens“, wie Ingeborg betont, „und eine grausige Vorstellung für alle Bäume: Erst wird man selbst gequält, um dann als Dünger für neue Folteropfer herhalten zu müssen.“
Doch nun schlagen die Bäume zurück. In einer konzertierten Aktion, so kündigten die im „Kommando Heiße Nadel“ organisierten Bäume an, wollen sie sich in diesem Jahr kollektiv während des Festmenüs auf die gefüllten Gabentische werfen. Auch Selbstverbrennungen wurden angekündigt. Friede ihrer geschundenen Asche.
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